Sunday 13 June 2021

„Wenn wir so weitermachen, stirbt unsere Spezies aus“

I love stupid people

Von Julius Müller-Miningen


Die Welt steckt mitten in einer Virus-Pandemie. Warum hat es Sinn, sich jetzt an den Pflanzen zu orientieren?


Stefano Mancuso: Schauen wir doch erst einmal, was wir angerichtet haben. Eine der Konsequenzen unseres katastrophalen Fingerabdrucks, den wir auf der Erde hinterlassen, ist die Verbreitung vieler Krankheiten, vieler Viren, die vom Tier auf den Menschen übergehen. Wir wissen das seit Jahren. 2009 wurde in der Zeitschrift Nature eine Untersuchung vorgestellt, die zeigt, dass sich der Übergang von epidemischen Krankheiten vom Tier auf den Menschen in den vergangenen 40 Jahren verdreifacht hat.


Und dafür sind wir selbst verantwortlich?


Mancuso: Ohne Zweifel. Der Hauptgrund ist, dass wir die natürlichen Rückzugsräume der Tiere zerstören. Wir zerstören die Lebensräume etwa der Fledermäuse, die Coronaviren in sich tragen, wir zerstören die Urwälder, wir bauen neue Städte, dort, wo vorher keine waren. Der Übertritt solcher Viren auf den Menschen wird damit unvermeidbar. Schauen wir uns die Pflanzen an. Sie sind seit Millionen von Jahren auf der Erde und wissen, wie sie hier überleben. Der Mensch hingegen denkt nur an sich selbst, wir haben eine komplett anthropozentrische Sicht auf alles. Doch wenn wir die Welt nur aus unserer Perspektive betrachten, werden wir als Art nicht überleben. Ich meine das nicht moralisch, mir geht es wirklich nur um eine Frage des Überlebens.


Warum soll die anthropozentrische Sicht gefährlich sein?


Mancuso: Uns ist nicht wirklich bewusst, dass wir ein Teil der Natur sind. Wir sind keine Wesen, die außerhalb dieses Zusammenhangs existieren. Unser Überleben als Spezies ist nur garantiert, wenn das Überleben der anderen Arten sicher ist. Für uns als Menschen ist es notwendig, dass diese Gemeinschaft der Arten auf der Erde erhalten bleibt.


Was also können wir von den Pflanzen lernen?


Mancuso: Eine Pflanze würde niemals mehr Ressourcen verbrauchen als ihr zur Verfügung stehen. Pflanzen können nur die Ressourcen nutzen, die sich in dem Stück Erde befinden, auf dem sie leben. Das ist bei uns nicht wesentlich anders. Wir sitzen auf diesem Planeten fest, natürlich ist die Fläche wesentlich größer. Aber der Gedanke ist derselbe: Wir können nicht mehr Ressourcen verbrauchen als die Erde uns geben kann. Aber genau das tun wir. Wir tun so, als ob die Ressourcen unendlich zur Verfügung stünden. Das ist eine typische Ausprägung menschlicher Dummheit.


Sie vertreten hingegen die These von der „Intelligenz“ der Pflanzen. Warum?


Mancuso: Ich streite mich oft über die angebliche Überlegenheit der menschlichen Intelligenz gegenüber der Intelligenz der Pflanzen. Das oberste Ziel einer Spezies ist das Überleben der eigenen Spezies. Die Fortpflanzung ist das erste Ziel. Alles andere ist sekundär. Aus dieser Perspektive ist der Mensch mit weitem Abstand eine der am wenigsten überlebensfähigen Arten, die es je auf der Erde gab.


Inwiefern?


Mancuso: Wir sind als Spezies seit 300000 Jahren auf der Erde. Seit etwa 15000 Jahren existiert das, was wir menschliche Zivilisation nennen. Und in dieser Zeit, vor allem in den letzten Jahren, haben wir es sozusagen in rasender Geschwindigkeit geschafft, den Planeten in den erbärmlichen Zustand zu bringen, in dem er sich jetzt befindet.


Wir sind als Art eben noch vergleichsweise jung …


Mancuso: Das durchschnittliche Leben einer Spezies auf der Erde beträgt fünf Millionen Jahre. Um im Durchschnitt zu bleiben, müssten wir als Art also noch 4,7 Millionen Jahre existieren, eine unvorstellbare lange Zeit für uns. Wir denken in wenigen Tausenden Jahren. Wird es uns in 1000 Jahren noch geben? Wer weiß! Wenn wir so weiter machen, sicher nicht.


Ist unsere Intelligenz, das Gehirn, unser Geist in Wahrheit der Kern des Problems?


Mancuso: Die Vorstellung, dass wir den anderen Lebewesen überlegen sind, ist die größte Quelle unserer Probleme. Wir denken, dass unser großartiges und zu logischem Denken fähiges Gehirn, auf das wir so stolz sind, unsere Stärke ist. Dass uns unser Gehirn anderen Lebewesen überlegen macht. Ich behaupte hingegen: Wer das behauptet, hat nie Darwin gelesen und weiß überhaupt nicht, was er in seiner Evolutionstheorie eigentlich behauptet hat.


Wie ist die Evolutionstheorie denn zu verstehen?


Mancuso: Die Tatsache, dass wir dieses Gehirn haben, das uns zu Dingen befähigt, die andere Lebewesen nicht können, hat keinerlei Bedeutung im Hinblick auf die Evolution. Die einzig interessante Frage lautet: Hilft uns diese Fähigkeit dabei, unsere Art länger oder weniger lang am Leben zu halten? Handelt es sich um einen evolutionären Vorteil oder um einen Nachteil? Darum geht es. Das Gehirn kann natürlich ein evolutionärer Vorteil werden, aber derzeit benutzen wir es nicht auf diese Weise. Wir nutzen das Gehirn als Nachteil.


Welche Rolle spielt der Klimawandel?


Mancuso: Eine der Folgen der Erderwärmung ist, dass die Tiere sich in Richtung Norden bewegen. Es ist bereits eine Wanderung des Lebens von Süden nach Norden im Gange, weil es im Süden zu heiß ist. Das bedeutet wiederum, dass wir in Kontakt mit Tierarten kommen werden, mit denen wir nie etwas zu tun hatten. Die Temperatur eines Organismus ist der wichtigste Parameter im Hinblick auf jede chemische, physische oder biologische Reaktion. Die optimistischsten Modelle sagen bis Ende des Jahrhunderts eine Temperaturerhöhung von sechs Grad vorher. Das ist ein apokalyptisches Szenario. Aber wir verstehen es nicht. Wir haben nicht einmal eine vage Vorstellung davon, was passieren wird.


Was wird denn passieren?


Mancuso: Pandemien werden in Zukunft noch häufiger. Auch im Mittelalter gab es tödliche Viren, auch in den vergangenen Jahrhunderten. Die Epidemien blieben lokal. Heute ist es das anders. Ob eine Epidemie in China, Italien, Japan oder Spanien ausbricht, ist völlig gleich. Innerhalb einer Woche breitet sie sich auf der ganzen Welt aus. Auch deshalb werden wir mit diesen Gefahren in Zukunft immer mehr zu tun haben. Mir kommt es wirklich so vor, als ob uns die Natur eine letzte Chance gibt, eine Art freundlichen Schubser.


Was meinen Sie damit? Bislang forderte Covid-19 etwa 80000 Todesopfer weltweit.


Mancuso: Im Hinblick auf die Weltbevölkerung ist die Zahl der Toten gering. Die Botschaft lautet: Wenn ihr euch nicht ändert, wenn ihr euch nicht an die Natur anpasst, werden apokalyptische Dinge geschehen. Vor ein paar Monaten wurden in der Antarktis 19 Grad Celsius gemessen. 19 Grad in der Antarktis, das ist unvorstellbar! Wir sollten die gegenwärtige Pandemie wirklich als Hinweis annehmen. Wenn wir uns nicht verändern, und zwar schnell, können wir uns in Zukunft auf viel Schlimmeres einstellen.


Wenn wir uns so schnell verändert haben, dann wäre das auch schnell wieder rückgängig zu machen?


Mancuso: Ja, aber wir müssen sofort aktiv werden, alle zusammen. Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie viele Menschen sich derzeit genau gleich verhalten. Wir sind alle zuhause, Ich hätte nicht gedacht, dass eher undisziplinierte Bevölkerungen wie die italienische oder die spanische so geschlossen die Anforderungen erfüllen und in ihren Wohnungen bleiben. Das stimmt mich positiv. Denn das bedeutet, man kann Verhaltensweisen sehr schnell ändern, vorausgesetzt, man erklärt den Menschen die Konsequenzen.


Wie würden die Pflanzen auf so eine Herausforderung reagieren? Was könnten wir jetzt von ihnen lernen?


Mancuso: Na ja, wir leben gerade alle in einer Art vegetativen Zustand. Ein paar Milliarden Menschen auf der Welt. Wir können uns nicht frei bewegen. Die Pflanzen leben immer so. Ihr wichtigstes Erfolgsrezept ist ihr Gemeinsinn. Den könnten wir uns abschauen. Pflanzen wetteifern nur in wenigen Ausnahmen mit anderen Pflanzen oder Lebewesen. Anstatt zu wetteifern, schaffen sie Gemeinschaften, die zusammen leben. Pflanzen, Tiere, Insekten, Mikroorganismen.


Aber in einem Wald wetteifern die Bäume doch um Licht?


Mancuso: Unsere Wälder sind alle vom Menschen angelegt. In Europa haben wir keine ursprünglichen Wälder mehr, sondern vom Menschen gepflanzte. Im Grunde gibt es keinen Unterschied zwischen einem Maisfeld und einem gepflanzten Wald. Mit echten Pflanzen, die sich ganz natürlich in ihrem Umfeld entwickeln, hat das nichts zu tun. Einen echten Wald, einen Urwald müssen wir uns weniger als eine Ansammlung von Individuen vorstellen, sondern eher als ein einziges Megaindividuum, einen Superorganismus, in dem alles miteinander verbunden ist und in dem ein ständiger Austausch von Informationen, Nährstoffen und Ressourcen vonstattengeht.


Was bedeutet das auf uns übertragen?


Mancuso: Der wichtigste Faktor der Evolution ist nicht der Wettbewerb. Unser Gehirn kann uns dabei helfen, den nächsten Schritt zu gehen. Der wäre, uns nicht über die anderen Lebewesen zu erheben, sondern eine Lebensform wie die der Pflanzen zu verstehen und einzusehen, dass Kooperation viel erfolgreicher ist als Konkurrenz. Kooperation ist für das Überleben der Spezies wesentlich aussichtsreicher.


Sie sagten vorhin, Arten, die dem Ganzen nicht nützen, sterben aus. Steht die gegenwärtige Pandemie in diesem Zusammenhang?


Mancuso: Vor einigen Jahrzehnten entwickelte der britische Wissenschaftler James Lovelock eine großartige Theorie, die sogenannte Gaia-Hypothese. Sie besagt: Wir müssen uns unseren Planeten mit allen Lebewesen als ein einziges großes Lebewesen vorstellen. Die Erde ist ein einziges Lebewesen. Alles ist im Gleichgewicht, wie beim Menschen. Bei uns muss der pH-Wert im Blut immer ungefähr gleich bleiben oder der Zuckergehalt. Wenn nicht, greifen Mechanismen, die für den nötigen Ausgleich sorgen. Wir nennen das Homöostase. James Lovelock nahm dasselbe für die Erde an. Wenn es einen Faktor gibt, der für ein Ungleichgewicht sorgt, in diesem Fall die Menschen mit ihren Aktionen, trifft der Mega-Organismus Vorkehrungen, die die Homöostase wieder herstellen und alle Parameter ins Gleichgewicht bringen. So gesehen handelt es sich bei der gegenwärtigen Pandemie wirklich um einen Wink mit dem Zaunpfahl.


Die Frage ist, ob wir die Botschaft verstehen und reagieren …


Mancuso: Es ist ein bisschen wie mit der Mafia. Beim ersten Mal warnt sie dich und macht ein bisschen was kaputt. Beim nächsten Mal legt sie eine Bombe und dann bringt sie dich um.


Stefano Mancuso (54) ist Professor für Botanik, Neurobiologe und Bestsellerautor. Er lehrt an der Universität Florenz, ist Gründer des Internationalen Labors für pflanzliche Neurobiologie (LINV). Auch auf Deutsch sind unter anderem seine Bücher wie „Die Intelligenz der Pflanzen“ (2016) und „Pflanzenrevolution“ (2018) erschienen.

  Quelle

Sunday 14 April 2019

10 Gründe, warum Noten in der Schule abgeschafft werden sollten


  10 Gründe, warum Noten in der Schule abgeschafft werden sollten


Immer wieder, wenn es zu dem Thema Noten kommt, hören wir das Argument: 'Aber ich muss doch wissen, wo mein Kind steht.' oder 'Kinder wollen sich vergleichen'.

Wir haben hier mal 10 Punkte zum Thema zusammengestellt, was Noten im Schulsystem bewirken, und warum Sie aus unserer Sicht abgeschafft gehören. Wichtig dabei ist uns, dass es erwiesen ist, dass Kinder auch ohne Noten lernen, motiviert sind und leistungsbereit. Leider glauben viele, dass dies nicht möglich ist, weil sie in ihrer Schulzeit gelernt haben, nur mit Notendruck zu lernen und nicht aus Interesse, Neugier und Engagement. Wem der Beitrag zu lang ist, kann auch nur einzelne Punkt, der 10 herausgreifen, oder auf unsere Website nachlesen:

1. Noten stimmen nicht.
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Noten entsprechen keinen Messkriterien, sie sind weder objektiv, noch valide, noch reliabel. Darin ist sich die Wissenschaft völlig einig. Noten geben den Leistungsstand der SchülerInnen nicht korrekt wieder. Das können sie auch gar nicht, weil es keinen Maßstab für geistige Leistung gibt. Korrekt messen lassen sich Gewichte, Entfernungen, Temperaturen. Repräsentative Vergleichszahlen sind nur bei großen Untersuchungen wie PISA möglich, die eine hohe Anzahl von SchülerInnen erfassen. Die Ergebnisse treffen nicht auf den einzelnen Schüler zu, aber sie zeigen einen Durchschnitt und Tendenzen. Die 15-jährigen Schüler Finnlands erreichen im Schnitt bessere Leistungen als deutsche 15-Jährige, was anhand von Kompetenzrastern festgestellt wird. Eine Klassenarbeit dagegen prüft nur 25 SchülerInnen. Eine Klasse ist eine zufällig zusammen gewürfelte, also nicht repräsentative Gruppe. Trotzdem setzt der Lehrer die Klassenarbeiten in eine Rangfolge, aus der sich die Noten ergeben. Aber in jeder anderen Klasse, jeder anderen Schule ist die Zusammensetzung der 25 SchülerInnen eine andere. So ist eine 2 in einer schwachen Klasse/Schule eine 4 in einer starken Klasse/Schule. Zudem ist die Rangfolge, die der Lehrer erhält, von vielen subjektiven Entscheidungen geprägt: Die Kriterien sind zwar im weiten Sinn durch den Lehrplan bestimmt, die Schwerpunkte jedoch durch das Interesse des Lehrers festgelegt: Was wichtig ist, was nicht, bestimmt er. Welche Formulierungen der Schüler anerkannt werden, bestimmt er. Auf welche Wissensinhalte er wie viele Punkte erteilt, bestimmt er. In diesen entscheidenden Bereichen waltet also reine Subjektivität. Auch die Verteilung der Punkte auf der Notenskala - eine kultusministerielle Festlegung! - ist reine Willkür und frei von aller Wissenschaftlichkeit: Die Hälfte der zu erreichenden Punkte ergibt noch ausreichend (4-), die Verteilung der übrigen Punkte ist im gleichen Abstand zu vollziehen. Auch die Bewertung von Abschlussarbeiten oder Jahrgangsstufentests ist subjektiv. Die landesweite Vorgabe der Aufgaben und des Korrekturschemas verhindert nicht subjektive Entscheidungen der Korrigierenden. Sogar die Aufgabenstellung selbst, die Lehrern übertragen wird, ist subjektiv: In einem Jahr sind die Aufgaben leicht, im nächsten schwer. Subjektive Entscheidungen der Lehrperson spielen noch in vielen anderen Bereichen eine Rolle: Sympathie, bisheriges Leistungsniveau des Schülers, sein sozialer Status, die Reihenfolge der Arbeiten beim Korrigieren etc. etc. (s. auch FEHLER BEIM BENOTEN). Die Qualität eines Lehrers zeigt sich an den Noten, die seine SchülerInnen erreichen - so könnte man meinen. Je besser die Noten, desto besser der Lernerfolg seiner SchülerInnen. Subjektiv meinen Lehrer jedoch häufig: Je schlechter die Noten, desto mehr Leistung habe er verlangt, desto besser sei er. Oder: Je strenger die Schule, desto höher der Leistungsanspruch. Ob die geforderte Leistung den Schülern auch vermittelt wurde, wird nicht bedacht. Aber all das macht der kultusministeriellen Verwaltung nichts. Im Gegenteil, sie verwehrt sich grundsätzlich gegen Elternklagen mit der Begründung, dass die Benotung im „pädagogischen Ermessen“ der Lehrperson liege. So kann man Willkür auch nennen.

2. Noten verhindern selbstbestimmtes Lernen.
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Alle reden vom individuellen Lernen, sogar das bayerische Kultusministerium. LehrerInnen öffentlicher Schulen werden mit kultusministeriellen Schreiben überhäuft, sie sollen schüleraktives Arbeiten fördern. Aber an den vorgeschriebenen kollektiven Prüfungen wird nichts geändert, so dass - wenn überhaupt - immer nur in kurzen Intervallen vom Lernen im Gleichschritt abgewichen werden kann. Denn jede Individualisierung endet bei der nächsten Klassenarbeit.

3. Noten verändern die Lerninhalte.
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Der Zeit- und Energieaufwand für Korrekturen ist enorm. Um die Korrektur zu erleichtern, stellen LehrerInnen nun einfach zu korrigierende Aufgaben: Mit einem Fachwort zu beantworten oder mit einem kurzen Sätzchen. Fragen, die auf eindeutige Antworten zielen, keine schwierigen Problematisierungen oder Erörterungen, eindeutige Rechenwege. Kurz, es sind, was die Denkleistung betrifft, einfache Aufgaben. Dafür einige Aufgaben auch aus eventuell abgelegenen Bereichen, die Schüler dann als schwer empfinden. Aufgaben, die benotet werden müssen, tragen also nicht zur Denkentwicklung, nicht zur Förderung der kognitiven Kompetenz bei. Anders gesagt: Noten verdummen.

4. Noten verändern das Lernverhalten der SchülerInnen.
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In einem selektiven Schulsystem, in dem Noten eine so große Rolle spielen - sie entscheiden über Auf- oder Abstieg auf dem Bildungsweg - lernen SchülerInnen logischer Weise für Noten. Sie pauken auf die nächste Arbeit: Bulimie-Lernen. Danach können sie das Gelernte getrost wieder vergessen, denn in der Notenschule werden Wissensinhalte nicht vernetzt, in Zusammenhängen abgeprüft, sondern in isolierten Einzelabschnitten. Insofern kann es für SchülerInnen sogar effizient sein, nach einer Prüfung wieder zu vergessen.

5. Noten verhindern sinnvolles Lernen.
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Lernen unter Druck und Angst - so die Hirnforschung - ist unproduktives Lernen. Im Gehirn bilden sich nur dann neue Verbindungen, wenn beim Lernen sogenannte Neurotransmitter (Botenstoffe) ausgeschüttet werden, was nur geschieht, wenn Emotionen im Spiel sind. Wer sich später an Gelerntes erinnert, ruft dabei immer auch die Emotion auf, die mit dem Lernen verbunden war. In unseren Schulen mit ihrem Notenkorsett ist das vor allem Angst, so dass sich SchülerInnen Inhalte unter Angstwiderstand eintrichtern. So wird die natürliche Neugier, Freude und Begeisterung fürs Lernen systembedingt zunichte gemacht.

6. Noten belasten Lehrer für Unsinniges.
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Untersuchungen ergeben, dass LehrerInnen sich am meisten durch Korrekturarbeiten belastet fühlen. Ihr persönlicher Anspruch ist, gerecht zu sein. Sie spüren jedoch, dass sie es nicht sein können. Das Tragische dabei: LehrerInnen investieren viel Zeit und Energie für etwas Falsches, denn Noten geben die Leistungen der SchulerInnen nicht korrekt wieder.

7. Noten verändern die Lehrer-Schüler-Beziehung zum Negativen.
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Bei der Notengebung geht es nie um die individuelle Rückmeldung an den einzelnen Schüler - ein sinnvolles Unterfangen - sondern es geht um die Einordnung der Arbeiten einer Klasse auf eine Notenskala, die pauschal urteilt und alles Individuelle nivelliert. Auch persönliche Bemerkungen am Ende der Arbeit ändern an diesem Pauschalurteil nichts. LehrerInnen stecken in unserem Schulsystem also in dem Widerspruch, gleichzeitig Förderer ihrer Schüler sein zu wollen und Richter über sie sein zu müssen. Nicht wenige Lehrer zerbrechen an diesem Widerspruch. SchülerInnen können Lehrpersonen gegenüber ihre wirklichen Verständnisschwierigkeiten nicht äußern, die Gefahr, negativ eingeschätzt zu werden, ist zu groß. Förderung setzt ein Vertrauensverhältnis voraus, Notenurteile zerstören es. Gute SchülerInnen leiden ebenfalls darunter, auch ihre Individualität wird ignoriert. Auch sie stehen unter dem ständigen Druck, abrutschen zu können. Die Notenschule ist ein Ort der Angst und Anspannung. Ein vertrauensvolles Miteinander, Fröhlichkeit, entdeckendes Lernen, mutige Neugier, auch Anstrengung mit dem Optimismus „Das schaffe ich!“ ist in einer Notenschule kaum möglich.

8. Noten verändern die Eltern-Kind-Beziehung zum Negativen.
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Fast alle Erwachsenen haben die Notenschule durchlaufen. Sie kennen nichts anderes und stellen Noten nicht in Frage. Im Gegenteil, um nicht lang über die Lernprozesse ihrer Kinder nachdenken zu müssen, sind Noten praktisch. Die Ziffern Eins bis Sechs taxieren kann jeder. Auch wenn die Taxierung falsch ist. Eltern nehmen Noten viel zu wichtig (an zweiter Stelle nach den Schülern, die kritischste Einschätzung haben Lehrer), teilweise reagieren sie geradezu hysterisch. Vor allem aber vergiften Noten die vertrauensvolle Beziehung der Eltern zu ihren Kindern. Noten bewirken, dass sie die Persönlichkeit ihrer Kinder zu wenig wahrnehmen können. Ganz zu schweigen von Vorwürfen und Tragödien am Abendbrottisch, von Lügen der Kinder und Tränen.

9. Noten bewirken einen Fehlerblick auf die Welt und ihre Menschen.
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Taxierung ist in einer Leistungsgesellschaft nicht vermeidbar, obwohl alle Bewertung (verbal oder mit Ziffernnoten) falsch sein kann und dadurch verletzend. Jeder Erwachsene wird das im Arbeitsleben und privat erlebt haben. Taxierung verändert unser Verhalten: Wir sind weniger frei, weniger annehmend für Andere und weniger offen für Neues. Aber Kinder und Jugendliche entwickeln sich erst, sie verändern sich laufend. Sie einzuordnen ist ein großer Fehler, der ihre Entwicklung behindert. Die Entfaltung ihrer Potenziale verlangt Freiheit, Ermutigung und Optimismus und einen liebenden Blick, der beantwortet werden wird.

10. Alternativen zu Noten:
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Entwicklungs- und Lernbericht, Lerntagebuch oder Logbuch, Zielgespräch oder Lernvertrag, Portfolio, Selbsteinschätzung, Kompetenzraster

Quelle

Tuesday 19 February 2019

Wednesday 30 January 2019

Tuesday 13 November 2018