Frühe Fremdbetreuung schadet Kindern und Eltern
Vor 8 Jahren hat die Dipl. Psychologin und Psychotherapeutin Antje Kräuter die Initiative Frühe Kindheit
ins Leben gerufen, mit der sie und ihre Mitstreiter insbesondere für
eine innige Mutter-Kind-Beziehung werben. FreieWelt.net sprach mit ihr
über ihre Initiative, die Bedeutung einer sicheren Eltern-Kind-Bindung
und die Gefahren der aktuellen Krippenpolitik.
FreieWelt.net: Frau Kräuter, was zeichnet eine sichere Mutter-Kind-Bindung aus?
Antje Kräuter: Sicher gebundene Kinder wenden sich
von Anfang an bei Unsicherheiten an ihre Hauptbezugsperson. Das
Menschenkind kommt sehr unreif auf die Welt, sein Gehirn ist nur soweit
entwickelt, dass es seine Hauptbezugsperson erkennt und ihren Schutz und
ihre Nahrung (Stillen) anstrebt. Erst nach neun Monaten der
Exterogestation (Schwangerschaft außen am Bauch der Mutter fortgesetzt)
fängt es in der Regel an, auch mal ein Stück von ihr fort zu krabbeln.
Ab diesem Zeitpunkt hält es das Band zur Mutter weiter aufrecht, indem
es immer wieder ihre Nähe zum Auftanken oder später mit den Augen nach
ihr sucht, um ihren Blick der Bestätigung abwartend seine Erkundungszüge
in die Umwelt angstfrei fortsetzen zu können. Im späteren Leben suchen
solche Menschen bei Schwierigkeiten die Nähe wichtiger Anderer und
ziehen sich nicht depressiv zurück oder begehen keine aggressiven
Handlungen.
FreieWelt.net: Unter welchen Voraussetzungen kann eine gute und sichere Bindung gelingen?
Antje Kräuter: Das Kleinstkind entwickelt eine
sichere Bindung, wenn die Mutter von Anfang an feinfühlig die Signale
ihres Kindes entschlüsselt und prompt und richtig beantwortet. Dazu
gehört auch, dass sie sich nie weit vom Baby entfernt, es überall hin
mit nimmt, was man am besten mit einem Tragetuch realisieren kann.
Trennungen verunsichern Babies und Kleinkinder sowie auch die Praktiken
des Schreien-Lassens nach der unseligen Theorie der Nazi-Ärztin Haarer,
dass das Schreien die Lungen stärke. Besonders in der Nacht formen wir
das Gehirn unseres Kindes in seinen basalen emotionalen Zonen in
Richtung Angstfreiheit und Sicherheit, indem die stillenden Mütter unter
Haut-oder Körperkontakt mit ihrem Baby das sogenannte Co-sleeping
praktizieren. Durch Störungen im emotionalen Austausch und körperlichen
Kontakt zwischen Mutter und Kind oder Vernachlässigung und Misshandlung –
besonders durch nahestehende Bezugspersonen – entwickelt sich entweder
sichere Bindung gar nicht erst oder aber wird durch Trennungen
gefährdet. Denn das, was einem von den Eltern getrennten Kleinkind unter
Umständen zustößt, beeinträchtigt die sichere Bindung, da das Kind in
seinen allerersten Lebensjahren ja noch gar nicht sicher weiß, dass die
Mutter oder der Vater davon gar keine Kenntnis haben. Von selbst werden
sie es somit kaum “erzählen”.
FreieWelt.net: Welche Bedeutung hat eine intensive Bindung zwischen Mutter und Kind für die Entwicklung des Kindes?
Antje Kräuter: Eine sichere Bindungsentwicklung im
ersten Lebensjahr sollte eigentlich ein Lebensrecht jedes Menschen sein,
denn sie liefert die Voraussetzung dafür, dass sich sein Gehirn und
davon abhängig alle Stoffwechselleistungen, d.h. auch die gesamte
körperliche Entwicklung, störungsarm entfalten können. Die Grundlage
dafür ist ihre Angstfreiheit und davon abhängig die Stressarmut
gegenüber falsch behandelten Babys und Kleinkindern. So führt schon die
natürliche Geburt mit anschließendem Bonding der Mutter an das Kind zum
Verlieben der Mutter in das Kind und begünstigt die Stillhormone
Prolaktin und Oxytocin. Diese befinden sich im Körper von Mutter und
Kind während der gesamten Stillzeit von mindestens zwei Jahren (lt.
WHO-Richtlinie) und erleichtern das Bemuttern hormonell, führen zur
Stressarmut bei Mutter und Kind und zu Liebe und Bindung. Auch das
Tragen am Körper – zum Beispiel während der Hausarbeit – oder das
Co-Sleeping erhöhen den Oxytocinspiegel und die Wohlfühlhormone
(Endorphine) und senken den Stress bei beiden. Je höher v.a. sozialer
Stress durch Trennungsschmerz ist, umso ungünstiger entwickelt sich das
Cortisol-Profil beim Kind, was lebenslange negative Auswirkungen auf die
Gesundheit hat.
FreieWelt.net: Nun gibt es ja meistens nicht nur eine Mutter.
Welche Rolle spielt der Vater in dieser Beziehung bzw. welche Bedeutung
kommt ihm zu? Wie wichtig ist die Bindung des Kindes an den Vater?
Antje Kräuter: Der Vater hat in der heutigen
Kleinfamilie eine wichtigere Funktion, da er oft leider die einzige
Unterstützung für die Mutter darstellt. Ein Baby und Kleinkind kostet
enorm viel Zeit für Aufmerksamkeit und liebevolle Betreuung, wobei
Mütter in feinfühligeren Kulturen meist stärker durch Verwandte
unterstützt werden, und das nicht nur bei Naturvölkern. Ein “Kind
großzuziehen bedarf es eines ganzen Dorfes” ist ein bewährter Spruch aus
Afrika. Der Vater sollte die Mutter vor allem emotional und tatkräftig
im Haushalt unterstützen und abends zum Beispiel das Tragen und Spielen
mit dem Baby und Kleinkind übernehmen. Die Mutter ist meist biologisch
mehr ausgerichtet auf Pflege und Ernährung, der Vater zeigt in der Regel
die Welt und geht auch ein wenig forscher mit dem Kind um. Beide jedoch
sollten liebevoll mit dem Baby schmusen und sprechen. Ein feinfühlig
interagierender Vater kann dann auch mit einer sicheren Bindung des
Kindes an ihn rechnen. Diese Auswirkungen sind v.a. bei der späteren
Partnerwahl und Elternschaft zu erkennen.
FreieWelt.net: Unter dem Label „frühkindliche Bildung“ wird
für eine möglichst frühe Betreuung der Kinder außer Haus geworben. Und
immer mehr Eltern entscheiden sich auch, Ihre Kinder bereits mit einem
Jahr in einer Kinderkrippe betreuen zu lassen. Welche Konsequenzen hat
das für die Eltern-Kind-Bindung?
Antje Kräuter: Da sich das Bindungssystem im ersten
Lebensjahr formt, müssen wir verstärkte Aufmerksamkeit auf diese Zeit
richten. Eltern, die hier eine feinfühlige Bindung zum Kind entwickeln
konnten, bringen es kaum über das Herz, das Kleinstkind schon so zeitig
für viele Stunden außer Haus, v.a. zu fremden Personen, zu geben. Im
Osten werden junge Eltern auf Grund der Krippentradition von ihren
eigenen Eltern dahingehend beeinflusst, dass ihnen Krippe doch auch
nicht geschadet hätte. So gehen sie den ungünstigen und schweren Weg,
haben aber sicherlich kein eigenes sicheres Bindungsmuster. Insofern hat
die Krippenbetreuung eben doch geschadet, erkennbar auch daran, dass
die Großeltern weder bei ihren Kindern noch beim Enkelkind die Qual
wahrnehmen können oder wollen. Denn auch die Eltern werden durch
Trennung vom Kleinstkind in ihrer Bindungsfähigkeit zu ihm
beeinträchtigt. Oft bleibt ein schlechtes Gewissen, dass dann durch
Verwöhnen mit materiellen Dingen beruhigt wird. So kann eine
narzisstische Störung des Kindes entstehen.
Unser Focus muss aber verstärkt auf die körperlichen Folgen gerichtet
sein: auf den Einfluss des Trennungsstresses auf das gesamte Wachstum-
und sonstige Hormonsystem, da in hilflosen Situationen beim Kind
verstärkt Cortisol ausgeschüttet wird und sich das Stresshormonprofil
ungünstig manifestiert mit all den auch körperlich nachteiligen Folgen.
Ein kleines Kind ist ohne eine ausreichend sichere Bindungsperson völlig
überflutet mit Angst und Stress, so dass es viel schlechter lernen
kann. Es gibt eine bekannte und gesicherte “Binsenweisheit” in der
Psychologie: Lernen ist nach dem Entwicklungspsychologen Erik Erikson
nur im entspannten Feld möglich- oder anders ausgedrückt: Wenn das
Bindungs(-such-)system aktiviert ist, ist das Erkundungssystem
blockiert! Somit ist es fachlich absurd, von einer Bildung in dieser
frühen Zeit zu sprechen, sondern die Bildungsfähigkeit bildet sich in
den ersten Jahren durch Bindung und Sicherheit unter Abwesenheit von
Angst und Unsicherheit heraus.
FreieWelt.net: Haben Sie eine Empfehlung, ab wann man sein Kind problemlos für mehrere Stunden am Tag außer Haus betreuen lassen kann?
Antje Kräuter: Das richtet sich immer nach dem Kind
und auch nach der Bindungsstruktur. Ein Kind mit einer sicheren Bindung
verkraftet eine kurzzeitige Trennung besser als die Kinder mit den
unsicheren Bindungsmustern. So läuft die Politik mit dem Ansinnen,
Kinder aus beeinträchtigenden Familien in die Krippen zu retten, völlig
fachlich falsch. Denn gerade bei diesen Kindern wurde nachgewiesen, dass
sie durch Trennung noch mehr körperlich mit einem noch ungünstigeren
Cortisolprofil reagieren! Das verstärkt die negativen Einflüsse auf
deren psychische und körperliche Entwicklung!
Der Beginn der Trennung mit 12 Monaten ist folgenschwer, da in dieser
Zeit das Kind oft noch fremdelt. Es hat noch kein eigenes “Ich”
entwickelt, kann nicht verstehen, warum die Mutter nicht bei ihm ist und
fühlt sich nicht wertvoll genug, dass sie bei ihm bleibt. Es versteht
nicht, wohin sie geht, wann und ob sie wiederkommen wird. Es versteht
erst in einigen Jahren ein “warum”. Hier können im Zusammenhang mit
anderen Faktoren Selbstwertprobleme, Ängste und manchmal auch
Depressionen bei später erlebten Verlusten, sogar bei Verlust des Jobs
entstehen.
Ein Kind sollte selbst entscheiden können, ob es in eine
Kindergarten-Spielgruppe gehen möchte. Das kann es aber erst frühestens
ab der zweiten Hälfte des vierten Lebensjahres. Auch hier wäre eine
Halbtagsbetreuung für einige Stunden besser als eine Ganztags-Trennung
von seinen liebsten Menschen.
FreieWelt.net: Fast 70% der Eltern würden ihr Kind in den
ersten drei Jahren daheim betreuen, wenn sie die finanziellen Mittel
dafür hätten. Was meinen Sie, warum forcieren die meisten Politiker
einen intensiven Ausbau flächendeckender Ganztagsbetreuung bereits für
die Kleinsten, statt diesem Wunsch gerecht zu werden?
Antje Kräuter: Manchmal ist man geneigt, fachliche
Unkenntnis dafür anzunehmen, was sicher auch bei vielen Nachsprechern
der Fall ist. Aber da die großen Industrien nicht schlafen und in alle
Richtungen selbst forschen, hat man den schlimmen Verdacht einer
großangelegten Manipulation an der Volksgesundheit. Diese würde
steigenden Absatz, zum Beispiel für Psychopharmaka, garantieren.
Desweiteren hat bereits Hitler verstanden, ein ganzes Volk zu
manipulieren, indem er versuchte, die Mutter-Kind- Bindung zu zerstören
(Dr. Haarer: Die (deutsche) Mutter und ihr erstes Kind). Damit züchtete
er bindungsunsichere und willig folgende Untertanen. Über diese Zeit –
die Mutter und Kinder betreffend – sind viele Bücher erschienen
(Chamberlain: Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind;
Götze: Kinder brauchen Mütter). Alle Diktaturen haben an der
Mutter-Kind-Beziehung gedreht, auch die Sowjetunion und die DDR mit
Wochenkrippen und Ganztagskrippen.
Heute besteht das Diktat der Wirtschaft. Medienkonzerne sind eng mit
der Wirtschaft liiert (Wernicke, Bultmann: Netzwerk der Macht –
Bertelsmann). Diese Machtstrukturen wollen überleben, dafür brauchen sie
unselbständige und unsichere Menschen, die das konsumieren, was
produziert und angeboten wird. Über einen künstlich geschaffenen
sogenannten “Bildungsbereich (Frühe) Kindheit” sollen Milliarden
umgesetzt werden.
Menschen, die Krippe empfehlen, können selbst eigentlich kein
sicheres Bindungsmuster haben. Sichere Menschen können sich einfühlen,
und auch in die Bedürfnisse eines Kindes, da man mit ihnen auch in der
Kindheit einfühlsam umgegangen ist. An Entscheidungsstellen scheinen
eher Menschen mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsmuster zu sein,
die ihr Leben lang “Auf der Suche nach dem verlorenen Glück” sind, ein
empfehlenswerter Buchtitel der Psychologin Jean Liedloff.
FreieWelt.net: Was sind die Ziele Ihrer Initiative im Einzelnen und mit welchen Projekten und Aktionen versuchen Sie diese zu erreichen?
Antje Kräuter: Einige von unseren Mitstreitern haben
bereits mit mir 2007 angefangen, unsere wechselnden Ministerpräsidenten
auf die Gefahren der Krippenpolitik in jeweils einem ausführlichen
Brief hinzuweisen, die jedoch mit lapidaren Antworten der jeweiligen
Referenten zurück kamen: “In unseren Krippen wird gute pädagogische
Arbeit geleistet”. Deshalb richteten wir 2010 eine Website ein und
druckten Flyer, Visitenkarten und Plakate: www.fruehe-kindheit.net.
Wir haben uns das Ziel gesetzt, die Möglichkeiten der Prävention von
ständig zunehmenden psychischen Störungen, von Gewalt und Süchten
aufzuzeigen. Dabei möchten wir versuchen zu vermitteln, wie wichtig in
diesem Zusammenhang die Einflüsse in den ersten drei bis vier Jahren für
die Entwicklung eines Kindes sind.
Wie mittlerweile durch jahrelange Forschung festgestellt wurde,
spielt dabei die Bindungssicherheit der Kinder eine sehr große Rolle,
wodurch Ängstlichkeiten und Unsicherheiten vorgebeugt wird. Diese können
der emotionalen Entwicklung und der Intelligenzentwicklung im Wege
stehen sowie die gesundheitliche Entwicklung gefährden.
Wir möchten deshalb aufzeigen, wie es möglich ist, dass jedes neu
geborene Kind von Schwangerschaft und Geburt an während der ersten drei
bis vier Jahre ein solches “sicheres Bindungsmuster”, wie es die
Fachsprache ausdrückt, ausbildet.
Wir nehmen an verschiedenen familiennahen Events teil, halten
Vorträge und werden zu workshops eingeladen. Ich sprach auch 2010 im
Sächsischen Landtag zur Krippenpolitik.
FreieWelt.net: Welche Resonanz erfahren Sie mit Ihrer Arbeit?
Antje Kräuter: Sehr gute Resonanz erfährt unsere
Website! Außerdem haben wir im Frühjahr dieses Jahres als Initiative
eine eigene ganztägige Fortbildung für 150 Fachleute im
interdisziplinären Bereich “Frühe Kindheit” mit einigen namhaften
Referenten organisiert und einen großen Zulauf bekommen.
FreieWelt.net: Was wünschen Sie sich für Ihre Arbeit von der Politik?
Antje Kräuter: Dass sie sich endlich auf ihre
ureigenste Aufgabe besinnt: Nämlich für die Menschenrechte und nicht für
Wirtschaftsinteressen einzutreten, wenn es um die Gesundheit unserer
Kinder geht. Vielleicht sollte man eine Ausbildung für Abgeordnete
organisieren, damit diese lernen, wen sie im Bedarfsfall fachlich fragen
sollten, sei es um etwas über wissenschaftliche Methoden zu lernen, um
Studienergebnisse bewerten zu können, die ansonsten kritiklos von ihnen
übernommen werden, wie z.B. die fragwürdige Interpretation der
Bertelsmann-Studie über Krippe und späteren Gymnasiumsbesuch, die auf der Seite des Familiennetzwerkes wissenschaftlich klar gestellt wurde.
Wenn man etwas über psychische Auswirkungen durch Mu-Kind-Trennungen
erfahren will, muss man übrigens Bindungsforscher und nicht drei
Wirtschaftsinstitute, die uns Steuerzahlern 13 Mio. gekostet haben,
fragen!
Oder Abgeordnete informieren sich einfach auf unserer übersichtlichen
Seite (“frühe Kindheit” ist bei google an erster Stelle!), z.B. über
die komplexen Bindungsfaktoren. Und dort gibt es auch viele
Buchempfehlungen!
FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch!
Dipl. Psychol. Antje Kräuter
Psychol. Psychotherapeutin
Elternberaterin von 0 bis 3
Stillberaterin AFS
www.fruehe-kindheit.net
Quelle
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