Wednesday, 13 February 2013

Über die steigende Obdachlosigkeit



21.12.2012

An Reichtum mangelt es in dieser Gesellschaft wahrlich nicht: die Schaufenster sind voll. Vom Glühwein und Lebkuchen über Maschinen zur Autoproduktion bis zum Baukran und Bagger ist alles da. Gleichzeitig schlafen täglich Leute auf der Straße– und erfrieren dort auch regelmäßig. Wie kann es sein, dass in einer Welt in der es riesigen Reichtum gibt, Leute überhaupt auf der Straße schlafen müssen? Daran, dass es zu wenig Wohnungen gibt, liegt es nicht. Und selbst wenn, gäbe es ausreichend materielle Mittel (Baustoffe, Bagger, Kräne usw.), um neue zu bauen und den Mangel aus der Welt zu schaffen.

Die Vorstellungen darüber, wieso Leute dennoch auf der Straße schlafen müssen, sind unterschiedlich. Jeder kennt Gruselgeschichten über Armutsgestalten, deren Karriere auf der Straße endet: Sie hätten Probleme mit dem Trinken, würden in Beziehungskrisen ihre Familie verlassen, oder hätten sich bei den Bemühungen um Hartz IV einfach nicht genug gekümmert.

All das macht persönliche Entscheidungen der Leute zum Grund für ihre Obdachlosigkeit. Warum selbst harmlose Schicksalsschläge regelmäßig dazu führen, dass Leute auf der Straße landen, beantwortet keine dieser Erklärungen. Ganz im Gegenteil: so wird Obdachlosigkeit auf Faulheit oder Pech zurückgeführt, also zu einer ungewöhnlichen Ausnahme erklärt. Eigentlich, so behauptet das, könnte es in dieser Gesellschaft jeder zu einem Auskommen bringen – wenn er sich denn nur genug anstrengt. Die Wahrheit sieht anders aus:

Obdachlose schlafen auf der Straße, weil sie – durch das vom Staat garantierte Eigentum – ganz grundsätzlich von allem ausgeschlossen sind, was sie so zum Leben brauchen, auch von Wohnungen. Drankommen und diesen Ausschluss überwinden kann nur, wer das Geschäftsinteresse des Eigentümers, d.h. des Vermieters, bedient. Ein Bedürfnis gilt in der sozialen Marktwirtschaft nichts, hat man das nötige Geld dazu nicht in der Tasche. Erst muss die Miete und die Kaution gezahlt und noch nachgewiesen werden, dass man auch in Zukunft die Miete zahlen kann. Und die Bude, in die die Möbel dann kommen, sieht auch entsprechend aus: Renovieren kostet, und gerade für ärmere Mieter lohnt das nicht.

Dass das Interesse des Vermieters gültig ist, dafür sorgt der Staat. Fällt die Zahlung mal aus droht  Zwangsräumung durch die Polizei. Ebenso passt die darauf auf, dass sich niemand Wohnraum verschafft, der nicht vorher dafür bezahlt hat. Auch die Verhinderung von Hausbesetzungen fällt darunter. Dabei ist der Staat sehr grundsätzlich: Wer die Bremer Medien verfolgt, weiß, dass auch die Besetzung einer leerstehenden Spedition ein Grund für den Einsatz eines Sondereinsatzkommandos ist. Spätestens da kann man merken: Eigentum und Wohnen passen nicht so recht zusammen.

Egal ob man wohnen oder essen will, man ist durch die staatliche Gewalt gezwungen an Geld zu kommen, weil alle Dinge Eigentum sind. Das heißt: Jemand hat die ausschließliche und damit alle anderen ausschließende Verfügungsmacht über diese Dinge. Der Wohnungseigentümer kommt an sein Geld, indem er die Wohnung vermietet, in der er selbst nicht wohnt. Andere haben Produktionsmittel, an denen sie andere Dinge produzieren lassen, die sie als Waren gewinnbringend verkaufen, wieder andere haben Geld, das sie anderen zum Gewinnemachen leihen können. Den meisten Menschen stehen solche Mittel nicht zur Verfügung. Sie haben kein nennenswertes Eigentum, das ausreicht, z.B. in Form einer Fabrik selbst zur Geldquelle zu werden. Sie sind nur Eigentümer ihrer selbst und müssen das benutzen, um an ein Einkommen zu kommen. Sie müssen ihre Arbeitskraft verkaufen – sich einen Job suchen. Der Lohn, den sie dafür bekommen ist genau deswegen niedrig: Um an einen Job zu kommen, muss sich ein Unternehmen einen Nutzen davon versprechen sie einzustellen. Dafür muss ihre Arbeit mehr Geld einbringen, als sie kostet, und zwar möglichst viel mehr. Unternehmen wollen möglichst viel und intensive Arbeit für möglichst niedrigen Lohn. Das Interesse der Arbeitgeber steht also im Gegensatz zum Interesse derer, die mit Lohn ihr Leben bestreiten wollen. Die Senkung der Löhne ist für die Unternehmen das Mittel Kosten einzusparen um höhere Gewinne zu machen. Sie lassen sich viel besser drücken, als der Preis von Maschinen oder Grundstücken: Dass der Lohn das einzige Mittel zum Leben ist und alle um die Arbeitsplätze konkurrieren müssen, macht erpressbar.

Dass Lohnabhängige dieses Mittel, das zwar das einzige, aber ein extrem schädliches  und untaugliches Mittel zum Überleben ist, überhaupt benutzen können, ist extrem unsicher. Wenn die Unternehmen Lohnabhängige für nicht brauchbar zum Gewinnemachen befinden, werden sie nicht mehr eingestellt oder entlassen und haben gleich gar kein Einkommen mehr.

Sozialversicherungen wie Hartz IV, die dafür da sind, Leute zu erhalten, die gerade oder dauerhaft für die Profitmacherei nicht brauchbar sind, zeigen eines deutlich: Nämlich, dass Armut und gesundheitliche Ruinierung durch die Arbeit in dieser Gesellschaft alltäglich und selbstverständlich sind. Hier springt der Staat mit seinem Sozialsystem ein, aber gar nicht so, dass die Gründe der ständigen Not aus der Welt geschafft werden. Im Gegenteil: die Verhältnisse, in denen das Elend geschaffen wird werden betreut und am Laufen gehalten.

Das wird deutlich  daran, dass es dieser Art von „Hilfe“ erklärtermaßen nicht darum geht, ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Die Verantwortlichen machen auch gar kein Geheimnis daraus, dass die Arbeitslosenhilfe nicht als Alternative zum Lohn gedacht ist. Sie ist so wenig, dass man als Hartz-IV-Empfänger, möglichst viele „Anreize“ bekommt einfach jeden Job anzunehmen. Mit Absicht soll die Förderung nur ein Leben am Existenzminimum ermöglichen, also zum Leben gar nicht ausreichen. Um in den Genuss dieser paar Euro zu kommen muss man als Empfänger noch eine Reihe von Gängelungen über sich ergehen lassen.

Als Langzeitarbeitsloser bekommt man das Sozialgeld nicht einfach so in die Hand gedrückt. Trotz der Tatsache, dass kein Unternehmen jetzt und in Zukunft vor hat einen wieder einzustellen, muss man ständig zeigen, dass man noch immer einen guten Willen zur Arbeit hat – bei Strafe von Leistungskürzungen. Mit der Erfüllung von Bewerbungsquoten, Besuchen von Fortbildungsmaßnahmen und hirnrissigen Motivationstrainings soll man seinen Willen unter Beweis stellen, ausschließlich Arbeit als ihr Mittel zum Leben benutzen zu wollen. Auch wenn man ständig die Erfahrung macht, dass es damit gar nicht geht.

Wer diese absurde Gängelung nicht mehr aushält, der verliert seinen Anspruch auf diesemerkwürdige „Hilfe“ und ist vollkommen mittellos in einer Gesellschaft, die erst Geld sehen will, bevor man was bekommt. So kommt es, dass Menschen in einer Gesellschaft, in der es genügend Wohnraum für alle gibt, auf der Straße schlafen müssen.

Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass sich die eigene ökonomische Situation gar nicht so groß von der eines Obdachlosen unterscheidet – selbst wenn man das „Glück“ hat, einen Unternehmer gefunden zu haben, der einen für seinen Profit benutzt. Die eigene Lage ist also Grund genug sich einmal grundsätzlicher mit den herrschenden Interessen in dieser Gesellschaft zu beschäftigen, denn sie sind es, die diesen Planeten so wenig wohnlich machen. Einige Hinweise und Lektüreempfehlungen dazu geben wir hier in Kürze.

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