Über die steigende Obdachlosigkeit
21.12.2012
An Reichtum mangelt es in dieser Gesellschaft wahrlich nicht:
die Schaufenster sind voll. Vom Glühwein und Lebkuchen über Maschinen
zur Autoproduktion bis zum Baukran und Bagger ist alles da.
Gleichzeitig schlafen täglich Leute auf der Straße– und erfrieren dort
auch regelmäßig. Wie kann es sein, dass in einer Welt in der es riesigen
Reichtum gibt, Leute überhaupt auf der Straße schlafen müssen? Daran,
dass es zu wenig Wohnungen gibt, liegt es nicht. Und selbst wenn, gäbe
es ausreichend materielle Mittel (Baustoffe, Bagger, Kräne usw.), um
neue zu bauen und den Mangel aus der Welt zu schaffen.
Die Vorstellungen darüber, wieso Leute dennoch auf der Straße
schlafen müssen, sind unterschiedlich. Jeder kennt Gruselgeschichten
über Armutsgestalten, deren Karriere auf der Straße endet: Sie hätten
Probleme mit dem Trinken, würden in Beziehungskrisen ihre Familie
verlassen, oder hätten sich bei den Bemühungen um Hartz IV einfach nicht
genug gekümmert.
All das macht persönliche Entscheidungen der Leute zum Grund für ihre Obdachlosigkeit. Warum
selbst harmlose Schicksalsschläge regelmäßig dazu führen, dass Leute
auf der Straße landen, beantwortet keine dieser Erklärungen.
Ganz im Gegenteil: so wird Obdachlosigkeit auf Faulheit oder Pech
zurückgeführt, also zu einer ungewöhnlichen Ausnahme erklärt. Eigentlich,
so behauptet das, könnte es in dieser Gesellschaft jeder zu einem
Auskommen bringen – wenn er sich denn nur genug anstrengt. Die Wahrheit
sieht anders aus:
Obdachlose schlafen auf der Straße, weil sie – durch das vom Staat garantierte Eigentum – ganz grundsätzlich von allem ausgeschlossen sind, was sie so zum Leben brauchen, auch von Wohnungen. Drankommen
und diesen Ausschluss überwinden kann nur, wer das Geschäftsinteresse
des Eigentümers, d.h. des Vermieters, bedient. Ein Bedürfnis gilt in der
sozialen Marktwirtschaft nichts, hat man das nötige Geld dazu nicht in
der Tasche. Erst muss die Miete und die Kaution gezahlt und noch
nachgewiesen werden, dass man auch in Zukunft die Miete zahlen kann. Und
die Bude, in die die Möbel dann kommen, sieht auch entsprechend aus:
Renovieren kostet, und gerade für ärmere Mieter lohnt das nicht.
Dass das Interesse des Vermieters gültig ist, dafür sorgt der Staat.
Fällt die Zahlung mal aus droht Zwangsräumung durch die Polizei. Ebenso
passt die darauf auf, dass sich niemand Wohnraum verschafft, der nicht
vorher dafür bezahlt hat. Auch die Verhinderung von Hausbesetzungen
fällt darunter. Dabei ist der Staat sehr grundsätzlich: Wer die Bremer
Medien verfolgt, weiß, dass auch die Besetzung einer leerstehenden
Spedition ein Grund für den Einsatz eines Sondereinsatzkommandos ist.
Spätestens da kann man merken: Eigentum und Wohnen passen nicht so recht zusammen.
Egal ob man wohnen oder essen will, man ist durch die staatliche
Gewalt gezwungen an Geld zu kommen, weil alle Dinge Eigentum sind. Das
heißt: Jemand hat die ausschließliche und damit alle anderen
ausschließende Verfügungsmacht über diese Dinge. Der Wohnungseigentümer
kommt an sein Geld, indem er die Wohnung vermietet, in der er selbst
nicht wohnt. Andere haben Produktionsmittel, an denen sie andere Dinge
produzieren lassen, die sie als Waren gewinnbringend verkaufen, wieder
andere haben Geld, das sie anderen zum Gewinnemachen leihen können. Den
meisten Menschen stehen solche Mittel nicht zur Verfügung. Sie haben
kein nennenswertes Eigentum, das ausreicht, z.B. in Form einer Fabrik
selbst zur Geldquelle zu werden. Sie sind nur Eigentümer ihrer
selbst und müssen das benutzen, um an ein Einkommen zu kommen. Sie
müssen ihre Arbeitskraft verkaufen – sich einen Job suchen. Der
Lohn, den sie dafür bekommen ist genau deswegen niedrig: Um an einen
Job zu kommen, muss sich ein Unternehmen einen Nutzen davon versprechen
sie einzustellen. Dafür muss ihre Arbeit mehr Geld einbringen, als sie
kostet, und zwar möglichst viel mehr. Unternehmen wollen möglichst viel
und intensive Arbeit für möglichst niedrigen Lohn. Das Interesse der
Arbeitgeber steht also im Gegensatz zum Interesse derer, die mit Lohn
ihr Leben bestreiten wollen. Die Senkung der Löhne ist für die Unternehmen das Mittel Kosten einzusparen um höhere Gewinne zu machen.
Sie lassen sich viel besser drücken, als der Preis von Maschinen oder
Grundstücken: Dass der Lohn das einzige Mittel zum Leben ist und alle um
die Arbeitsplätze konkurrieren müssen, macht erpressbar.
Dass Lohnabhängige dieses Mittel, das zwar das einzige, aber ein
extrem schädliches und untaugliches Mittel zum Überleben ist, überhaupt
benutzen können, ist extrem unsicher. Wenn die Unternehmen
Lohnabhängige für nicht brauchbar zum Gewinnemachen befinden, werden sie
nicht mehr eingestellt oder entlassen und haben gleich gar kein
Einkommen mehr.
Sozialversicherungen wie Hartz IV, die dafür da sind, Leute zu
erhalten, die gerade oder dauerhaft für die Profitmacherei nicht
brauchbar sind, zeigen eines deutlich: Nämlich, dass Armut und
gesundheitliche Ruinierung durch die Arbeit in dieser Gesellschaft
alltäglich und selbstverständlich sind. Hier springt der Staat
mit seinem Sozialsystem ein, aber gar nicht so, dass die Gründe der
ständigen Not aus der Welt geschafft werden. Im Gegenteil: die
Verhältnisse, in denen das Elend geschaffen wird werden betreut und am
Laufen gehalten.
Das wird deutlich daran, dass es dieser Art von „Hilfe“
erklärtermaßen nicht darum geht, ein angenehmes Leben zu ermöglichen.
Die Verantwortlichen machen auch gar kein Geheimnis daraus, dass die
Arbeitslosenhilfe nicht als Alternative zum Lohn gedacht ist. Sie ist so
wenig, dass man als Hartz-IV-Empfänger, möglichst viele „Anreize“
bekommt einfach jeden Job anzunehmen. Mit Absicht soll die Förderung nur ein Leben am Existenzminimum ermöglichen, also zum Leben gar nicht ausreichen. Um in den Genuss dieser paar Euro zu kommen muss man als Empfänger noch eine Reihe von Gängelungen über sich ergehen lassen.
Als Langzeitarbeitsloser bekommt man das Sozialgeld nicht einfach so
in die Hand gedrückt. Trotz der Tatsache, dass kein Unternehmen jetzt
und in Zukunft vor hat einen wieder einzustellen, muss man ständig
zeigen, dass man noch immer einen guten Willen zur Arbeit hat – bei
Strafe von Leistungskürzungen. Mit der Erfüllung
von Bewerbungsquoten, Besuchen von Fortbildungsmaßnahmen und
hirnrissigen Motivationstrainings soll man seinen Willen unter Beweis
stellen, ausschließlich Arbeit als ihr Mittel zum Leben benutzen zu
wollen. Auch wenn man ständig die Erfahrung macht, dass es damit gar nicht geht.
Wer diese absurde Gängelung nicht mehr aushält, der verliert
seinen Anspruch auf diesemerkwürdige „Hilfe“ und ist vollkommen
mittellos in einer Gesellschaft, die erst Geld sehen will, bevor man was
bekommt. So kommt es, dass Menschen in einer Gesellschaft, in der es genügend Wohnraum für alle gibt, auf der Straße schlafen müssen.
Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass sich die eigene
ökonomische Situation gar nicht so groß von der eines Obdachlosen
unterscheidet – selbst wenn man das „Glück“ hat, einen Unternehmer
gefunden zu haben, der einen für seinen Profit benutzt. Die
eigene Lage ist also Grund genug sich einmal grundsätzlicher mit den
herrschenden Interessen in dieser Gesellschaft zu beschäftigen, denn sie
sind es, die diesen Planeten so wenig wohnlich machen. Einige Hinweise und Lektüreempfehlungen dazu geben wir hier in Kürze.
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Quelle