Friday, 15 February 2013

Eine Stadt ohne Armut

── EINE STADT OHNE ARMUT ──

Kanadas einziges Experiment eines Grundeinkommens erhält endlich die verdiente Aufmerksamkeit.


Versuchen Sie sich eine Stadt vorzustellen, in der die Regierung jedem Einwohner ein Einkommen bezahlt, unabhängig davon woher jemand kommt oder was er tut.

Für eine Zeit über vier Jahren wurde in den 70'er Jahren den ärmsten Familien in Dauphin (Manitoba) von der Bundes- und Landesregierung ein Mindesteinkommen garantiert. Alles was von diesem Experiment 35 Jahre später übrig geblieben ist, sind 2000 Kisten mit Dokumenten, welche im Archiv-Gebäude von Winnipeg Staub angesammelt haben. Bis heute ist nur sehr wenig bekannt, was in jenen vier Jahren in der abgelegenen, kleinen Stadt abgelaufen war, denn die Regierung hatte die gesammelten Daten weggeschlossen, damit sie nicht analysiert werden konnten.

Nach einem fünfjährigen Kampf der Professorin für Gesundheitswissenschaften der Univerität von Manitoba, "Evelin Forget", gelang es ihr im Jahr 2009 Zugriff auf die Unterlagen zu bekommen. Solange die Daten nicht per Computer ausgewertet werden konnten, blieb eine systematische Überprüfung unmöglich. Frau Forget hatte unbeirrt die Puzzelstücke zusammengefügt, als da waren Erhebungen, die Gesundheitsakten und die Bekundungen der Testpersonen. Diese Arbeit legt einen großen Erfolg des damaligen Projekts offen.

Anfang 1974 hatten die Liberalen von Pierre Trudeau und die von Manitoba erstmalig gewählte demokratische Regierungspartei ausreichende finanzielle Mittel für Einzelpersonen und Familien aus Dauphin, welche unterhalb der Armutsgrenze gefallen sind, bereitgestellt. Unter dem Projektnamen "Mincome" erhielten somit etwa 1000 Familien regelmäßig monatliche Schecks.

Anders als bei der Sozialhilfe, welche nur unter bestimmten Bedingungen erteilt wurde, stand das garantierte Minimum-Einkommen jedem Bürger offen. Es war das erste, und bis heute einzige mal, in dem Kanada mit einem sozialen Projekt dieser art experimentierte.

In Anbetracht des heutigen, politisch konservativem Klimas, mit dauernder Rethorik der Regierung über die "Uneffizienz" und der "Verschwendung" von Gelder für soziale Ausgaben, erscheint das Mincome-Projekt wie ein Märchen.

Vier Jahre lang war Dauphin ein Ort, in dem jeder Mensch unterhalb der Armutsgrenze einen Scheck erhalten konnte - bedingungslos. Alleinerziehende Mütter konnten es sich leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken und Familien mit niedrigem Einkommen mußten nicht mehr kämpfen, um ihre monatliche Miete bezahlen zu können. “Amy Richardson” konnte es sich leisten, Bücher für ihre Kinder zu kaufen. Sie war dem Projekt 1977 beigetreten, kurz nachdem ihr Eheman wegen einer Behinderung seine Arbeit aufgeben mußte. Zu der Zeit hatte sie Schwierigkeiten ihre drei jungen Kinder aufzuziehen, während sie im Wohnzimmer für $1,50 anderen Leute die Haare schnitt.

Die jährlichen $1200,- welche ihr in monatlichen Teilbeträgen ausgezahlt wurden, waren eine willkommene Ergänzung zu einer Zeit, in derdie Armutsgrenze bei $2,100 pro Jahr lag.
“Das Extrageld hat es mir ermöglicht meinen Kindern etwas zu bieten, was wir uns normalerweise nicht hätten leisten können, wie z.Bsp. sie an einer kleinen Veranstaltung teilnehmen zu lassen oder ähnlichen Luxus.” Erzählte Frau Richardson, heute 84 Jahre alt, als sie von der Zeitung “The Dominion” aus Dauphin telefonisch befragt wurde.

Als Bestandteil des Experiments wurde eine Manschaft von Forschern nach Dauphin gesandt, um die Mincome-Familien eingehend zu befragen. Bewohner des benachbarten, abgelegenen Ortes, welche kein Micome erhielten, wurden auch befragt, um beide Statistiken miteinander vergleichen zu können. Als die Regierung 1978 jedoch die Gelder für das Projekt einstellte, wurden die angesammelten Daten archiviert und niemand machte sich die Mühe sie zu analysieren.

“Als die Regierung das Programm vorstellte, gingen sie noch von einem Pilotprojekt aus, welches am Ende des Jahrzehnts bundesweit ausgeweitet werden sollte. Während des Projekts haben Bundes- und Landesregierung insgesamt 17 Mio. Dollar ausgegeben, obwohl ursprünglich nur ein paar Millionen veranschlagt waren. Nach dem Kanada von einer Wirtschaftskriese efasst wurde, mußte das Projekt 1978 vorzeitig abgebrochen werden. Folge der Rezension war eine Preissteigerung der Lebenshaltungskosten um 10% pro Jahr. Die Gelder für das Mincome-Projekt wurden anfangs entsprechend angepasst.

Die Liberalen von Trudeau, welche sich bereits für eine Reform der Arbeitslosenversicherung Kanadas ausgesprochen hatten, beendeten das Projekt und stoppten sämtliche Gelder welche notwendig gewesen wären, um die Daten auszuwerten.

“Es ist sehr bedauerlich und typisch Regierungsarbeit, daß die gewonnenen Daten bisher nicht analysiert wurden,” sagt Ron Hikel, der das Mincome Projekt koordinierte. Hikel arbeitet heute in den USA um die allgemeine Gesundheitsreform voranzutreiben.

“Die Befürworter des Mincome waren um die Blamage besorgt, daß im Falle eines negativen Ergebnisses der Datenauswertung, auch noch Geld für die Analyse verschwendet worden wäre.”

Prof. Forget hat jedoch einige nützliche Arbeitsdaten von Manitoba gesammelt. Ihre Recherche bestätigt zahlreiche, positive Konsequenzen des Programms.

Anfangs wurde das Mincome Projekt als eine art Arbeitsmarktmodell aufgefasst. Die Regierung wollte herausfinden was passiert, wenn jeder in der Stadt Zugang zu einem garantierten Einkommen hätte und im Besonderen wollten sie wissen, ob die Leute immer noch arbeiten würden. Es hatte sich herausgestellt, daß sie es taten.

Zwei Ausnahmen gab es davon, in denen Dauphins Arbeitskraft aufgrund von Mincome geringer wurde. Zum einen waren es kürzlich gewordene Mütter und zum anderen Teenager. Mütter mit neugeborenen hörten auf zu arbeiten, weil sie länger bei ihren Babys bleiben wollten. Und Teenager arbeiteten weniger, weil sie nicht mehr gezwungen waren, ihre Familien zu unterstützen. Als Resultat verbrachten sie mehr Zeit in der Schule und mehr Jugendliche machten ihre Abschlüsse.

“Diejenigen welche weiterarbeiteten hatten die Gelegenheit in Ruhe nach einem Arbeitsplatz zu suchen und mußten nicht die erstbeste Gelegenheit nehmen,” sagte Hikel. “Sie hatten die Zeit auf etwas besseres zu warten. Manche Leute konnten auf diese Weise Arbeit finden um mit dem Geld auszukommen. Als “Doreen” und “Hugh Enderson” 1970 mit ihren zwei jungen Kindern in Dauphine ankamen, waren sie bankrott. “Doreen” dachte, es wäre eine gute Idee von Vancouver zu ihrer Geburtsstadt zu ziehen, damit ihr Mann dort eher eine Arbeit findet. Das stellte sich jedoch als Irrtum heraus.

“Mein Ehemann hatte keinen guten Job und ich konnte für mich garnichts finden,” berichtete sie der Zeitung “The Dominion” am Telefon. Erst 1978, nachdem wir zwei Jahre lang Mincome empfangen hatten, bekam mein Mann endlich eine Arbeitsstelle als Hausmeister. “Ich weiß nicht, wie wir ohne der finanziellen Hilfe überlebt hätten,” sagte Doreen. “Ich weiß auch nicht, ob wir in Dauphin geblieben wären.

Obwohl das Mincome Experiment dazu gedacht war, Informationen über die Arbeitsmarktentwicklung bereitzustellen, entdeckte Prof. Forget daß es einen erhebliche Auswirkung auf das Wohlergehen der Menschen gab. Vor zwei Jahren fing sie an die Gesundheitsprotokolle der Bewohner Dauphins zu studieren, um die Bedeutung des Projekts zu bewerten. Während der Dauer des Projekts waren Krankenhausbesuche um 8,5% gesunken. Weniger Leute hatten wegen arbeitsbedingten Unfällen das Krankenhaus besuchen müssen und es gab weniger Notfallaufnahmen durch Autounfälle oder häusliche Gewalt. Darüber hinaus gab es auch weniger Arztbesuche im Bezug zu psychischen Problemen.

“Wenn man durch ein Krankenhaus geht wird einem schnell klar, daß viele Behandlungen die Auswirkunden von Armut sind,” sagt sie. Geben wir den Leuten finanzielle Unabhängigkeit und die Kontrolle über ihr Leben, werden die Unfälle und Krankheiten sich auflösen, sagt “Forget”. In heutigen Verhältnissen würde eine 8,5% landesweite Verringerung an Krankhausbesuche Kanadas, der Regierung 4 Millionen Dollar pro Jahr ersparen, nach ihrer Berechnung. Vier Millionen Dollar ist auch die Summe, welche die Bundesregierung zur Zeit versucht zu sparen, in dem sie die Etas für Soziales und Kunst verringert.
Nachdem Prof. Forget die Datenaufbereitung analysiert hat, arbeitet sie nun an eine Kosten-Nutzenrechnung um zu sehen, was ein bedingunsloses Grundeinkommen der Bundesregierung an finaziellen Mitteln ersparen könnte. Sie hat bereits mit dem Senats-Ausschuss zusammen gearbeitet um ein BGE für alle Kanadier mit geringem Einkommen zu untersuchen.

Das plötzliche Interesse der kanadische Regierung in ein BGE überrascht “Forget” nicht. Alle 10 bis 15 Jahre soll es erneut Interesse in Feldprojekte zum BGE geben, gemäß Prof. James Mulvale für Sozialarbeit, von Saskatchewan. Er hat intensive Recherchen über Grundeinkommensprojekte betrieben und ausführlich darüber geschrieben. Außerdem ist er am kanadischen Ortsverbands des BIEN (Basic Income Earth Network) beteiligt, eine weltweite Organisation von BGE Beführwortern.

Grundeinkommen-Programme existieren in Länder wie Brasilien, Mexiko, Frankreich und sogar in Alaska. Obwohl die Leute es nicht gleich erkennen mögen, subtile Formen von Grundeinkommen gibt es bereits in Kanada, sagt Mulvale, mit dem Hinweis auf Kindergeld, der Mindestrente und die bescheidenen GST (Goods and Services Tax) / HST (Harmonized Sales Tax) Rückerstattungsprogramme für Geringverdiener. Allerdings könnte ein echtes Grundeinkommen Armut um ein vielfaches dessen lindern.

Mulvale bevorzugt das “demo-grant” Modell, welches jedem in Kanada automatisch Geld überweist. Diese Variante würde gleichzeitig hohe Einkommen am Ende des Jahres besteuern, damit ärmere Leute finanzielle Zuwendungen empfangen können. Ein derartiges Modell hätte eine höhere Chance breite Unterstütztung zu erfahren, weil einfach viele davon Nutzen hätten, nach Aussage von Mulvale. Grundeinkommen könnte auch durch eine negative Einkommenssteuer für die Ärmeren generiert werden, sie würden im Verhältnis zum Jahreseinkommen eine Rückzahlung erhalten. “Grundeinkommen alleine würde Armut nicht beseitigen, aber es könnte sie in diesem Land in einem erheblichen Maße verringern,” sagt Mulvale.

Der konservative Senator “Hugh Segal” war der größte Unterstützer dieser Variante des Grundeinkommens. Der Bezug könnten soziale Begleitprogramme, welche nun von den Ländern verwaltet werden, auflösen. Anstatt separate Verwaltungen für Kindergeld, Sozialhilfe, Arbeitslosenversicherung und Aufstockung für Rentner zu haben, könnten sie alle in ein Grundeinkommen Plan zusammengefasst werden.

Es würde auch bedeuten, daß jeder Bürger Unterstützung beantragen könnte. Viele Leute fallen heute durch das soziale Netz hindurch, sagt “Forget”. Nicht jeder hat Zugriff auf Sozialhilfe und jene welche Zugrif haben, werden dafür bestraft, daß sie zur Schule gehen oder einer Tätigkeit verfolgen, weil ihnen finanzielle Unterstützung wieder abgezogen wird. Wenn ein Grundeinkommen alle betroffenen Menschen erreicht und wesentlich effizienter ist als alndere soziale Begleitprogramme, warum hat Kanada es noch nicht eingeführt? Vermutlich ist die größte Hürde die Macht der negativen Vorurteile gegenüber Menschen in Armut. “Es gibt eine sehr starke Überzeugung davon, daß man Menschen kein Geld ohne Gegenleistung geben sollte,” sagt Mulvale.

Grundeinkommens-Befürworter machen kein Geheimnis daraus, daß es ein BGE in absehbarer Zeit wohl nicht geben wird. Sie sind dennoch sehr hoffnungsvoll, daß Kanada eines Tages die Vorzüge eines BGEs erkennt. “Die Kosten würden nicht annährend so belastend sein, wie die Leute es befürchten,” sagt Forget. “Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine höherwertige From von sozialer Förderung. Das einzige Problem ist, daß es politisch schwer umsetzbar ist.”


Vivian Belik ist eine freiberufliche Journalistin, welche sich in den eiskalten Northlands von Whitehorse, Yukon aufhält. Sie wuchs in Manitoba auf, wo sie viele Kleinstadt-Statuen, einschließlich des gigantischen Bibers in Dauphin, gesehen hat.

Quelle


Im Zusammenhang:

Die Stadt, die allen ihren Bewohnern ein Grundeinkommen schenkte
BGE-Portal
Mincome - Wikipedia
Article: Researchers Examine the Town With No Poverty
Evelyn Forget (2008): The town with no poverty: A history of the North American Guaranteed Annual Income
Derek Hum, Wayne Simpson: A Guaranteed Annual Income? From Mincome to the Millennium
Basic Income - Wikipedia 
Article: Dauphin's great experiment
Article: Guaranteed-income idea kept alive by many
Article: It's time to give Mincome another look
Article: An end to the perpetual welfare trap?
Blog: The Manitoba Mincome Study
Blog: Whatever happened to Canada's guaranteed income project?
Blog: THE MANITOBA MINCOME EXPERIMENT
Blog: Mincome: A bold experiment that was too successful for it's own good
Article: The Uniter: The University of Winnipeg Student Weekly 
Health Effects of Guaranteed Annual Income
Article: 1970s' Manitoba poverty experiment called a success


Siehe auch: Dauphin war "die Stadt ohne Armut"

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