Friday, 8 February 2013

Katja Kipping bei Markus Lanz

Aus der Sendung vom 07.02.2013






── OFFENER BRIEF ──
vom 08. Februar 2013

Sehr geehrter Herr Lanz,

ich möchte mich zu Ihrer Sendung vom 07. Februar 2013 äußern.

Das Thema war u.A. das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Ein Thema, dass es wert ist, öffentlich diskutiert zu werden, das Pro und Kontra abzuwägen. Und genau das hatte ich erwartet, aber wahrscheinlich sind meine Ansprüche zu hoch.

Die unausgewogene Gästeauswahl lässt vermuten, dass Sie das BGE wieder in die linke Ecke drücken möchten. Aber da gehört es nicht hin, denn es gehört genau in die Mitte!

Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der es noch einen gesunden Arbeitsmarkt gab. Diese Zeiten sind vorbei und kommen auch nicht wieder. Die Automatisierung/Industrialisierung schreitet voran und macht weiter bestimmte Arbeitsplätze überflüssig. Inzwischen hat sich unsere Gesellschaft zunehmend in eine Dienstleistungsgesellschaft gewandelt. Ich bin empört darüber, wie Sie mit Ihrer Selbstherrlichkeit Menschen diffamieren, die den Beruf der Pflegekraft bzw. des Busfahrers gewählt haben. Ich jedenfalls zolle diesen Menschen meinen Respekt. Wo fängt bei Ihnen denn eigentlich „Mensch“ an? … beim Moderator? Sie müssen nicht verstehen, warum ein Mensch Busfahrer wird oder in der Pflege arbeitet. Ich verstehe schließlich auch nicht, warum Sie Moderator geworden sind. Sie sollten nur verstehen, dass wir in einer Gesellschaft leben und dass eine Gesellschaft durch Vielfältigkeit getragen wird.

Ihr Beitrag „vom Tellerwäscher zum Moderator“ zeigt mir, das sie dem Thema BGE keine Ernsthaftigkeit zusprechen. Nach Ihren Ausführungen zum Thema „Geschirrspüler“, frage ich mich ernsthaft, wie Sie es überhaupt zum Tellerwäscher geschafft haben. Und lassen Sie mich noch eines bemerken, vielleicht hätte die Pfanne ja treffen müssen, damit Sie Ihre Bodenhaftung nicht verlieren.

Entschuldigen Sie bitte, aber mir ist der Respekt Ihnen gegenüber etwas abhanden gekommen. Mit Ihren Äußerungen, dass die meisten Menschen mit einem BGE der Faulheit zum Opfer fallen würden, beleidigen Sie nicht nur mich, sondern auch Millionen andere Menschen.

Die Menschen wollen sich in die Gesellschaft einbringen. Sie suchen nach einer Aufgabe, nach Herausforderungen und natürlich auch nach Anerkennung.

Es steht Ihnen natürlich frei, sich für oder gegen das BGE auszusprechen, aber nicht auf diese anmaßende und respektlose Art und Weise.

Mit nachdenklichen Grüßen
Kornelia Gaber


In diesem Zusammenhang ein interessanter Artikel

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Laut Umfragen würden über 80 % der Erwerbstätigen auch dann weiter arbeiten, wenn sie ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) erhielten. Der erste Haupteinwand gegen das BGE, es würde mit dessen Einführung alles schlagartig aufhören, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen, ist somit bereits hinfällig. Der Zweite, das BGE sei nicht finanzierbar, wirkt auch nicht mehr erschlagend, sobald klar gemacht wird: Das BGE ersetzt die meisten Transferleistungen wie Rente, Arbeitslosengeld I + II, Kindergeld und Grundsicherung. Es kommt nicht »oben drauf«, sondern ist gegenzurechnen. Bedeutet: Zu mindestens 60 % ist es bereits finanziert.

In der öffentlichen Diskussion taucht das Grundeinkommen momentan eher am Rande auf. Die Piratenpartei hat es durch die Aufnahme in ihr Parteiprogramm wieder etwas stärker in den Fokus gerückt. Kommt es zur Sprache, wird es allerdings zumeist alles andere als sachlich angegangen. Die Polemik reißt nicht ab. Immer wieder wird das Klischee von der sozialen Hängematte aufgewärmt. SPD-Chef Sigmar Gabriel findet das BGE »elitär«. Er betonte gegenüber dem SPIEGEL nicht zu wissen, wie er der Krankenschwester erklären soll, dass sie für den müßigen Lebensstil von Grundeinkommensbeziehern mitverdienen müsse. Der SPD-Chef offenbarte hier nur eines: großen Bedarf an Nachhilfe.

Ähnlich derb fielen die Reaktionen einiger Leser auf einen SPIEGEL-Beitrag über den Piratenpolitiker Johannes Ponader, ebenfalls Grundeinkommensbefürworter, aus. Da wurde sich aufgeregt, dass Ponader »den Leistungsgedanken ablehne«, während »andere, Pflegepersonal, Autobauer und Müllwerker sich den Zwängen der Erwerbstätigkeit unterziehen und brav Steuern entrichten. Ponader aber kann sich selbst verwirklichen, ohne Gedanken an Solidarität zu verschwenden. Nach sozialer Intelligenz sieht das nicht aus.« Ein weiterer Leserbriefschreiber (mit Doktortitel) moniert, Ponaders Lebensweise werde »erst durch Regale einräumende und steuerzahlende Arbeitnehmer ermöglicht – Arbeitssituationen, die er nicht ertragen möchte«. Ein Dritter befürchtet gar, Landwirte würden ihre Trecker stehen lassen und vom Grundeinkommen leben. Wie käme Ponader dann an sein »bedingungsloses Müsli?« (Zitiert aus: SPIEGEL Nr. 28/ 9.7.12). So weit unsere SPIEGEL-Leser, die laut Werbung »mehr wissen«, hier jedoch anscheinend nicht einmal verstanden haben, dass es nur um die Sicherung des Existenzminimums geht. Der Anreiz, darüber hinaus zu verdienen, bleibt erhalten.

Interessant: Den in den Leserbriefen genannten Berufsgruppen wird per se unterstellt, ihre Arbeit nur gezwungenermaßen ohne Freude zu verrichten. Offensichtlich gehören die Briefschreiber anderen Berufsrichtungen an und können sich nicht vorstellen, selbst solche Beschäftigungen zu entsprechenden Entlohnungen auszuüben. Gleichwohl tun sie, als würden sie in deren Interesse sprechen. So etwas nennt man »Anbiedern«. Klar: Die angeführten Tätigkeiten sind notwendig, die Gesellschaft und man selbst ist darauf angewiesen. Deshalb gibt man sich »solidarisch« und hält sich für »sozial intelligent«, wenn man die »Hängematte« für alle entrüstet zurückweist. Doch wie intelligent ist es, eine Idee abzulehnen, deren Umsetzung Beschäftigte einschließlich der genannten Gruppen in eine finanziell wie psychisch bessere Position bringen würde?

Hinter dieser Art von Intelligenz steckt ein Faktor, den die Grundeinkommensbewegung nicht unterschätzen sollte: Die Angst Bessergestellter, sie könnten ihre Dienstboten verlieren: Handwerker, Klempner, Maurer, Putzhilfen und alle anderen, die Tätigkeiten verrichten, die eher nicht so »qualifiziert« sind. Diese Gutsherrenmentalität der besitzbürgerlichen Schichten sitzt immer noch tief. Ihr ist mit Aufklärung, gleich wie fundiert und einleuchtend, schlecht beizukommen. Ihre Träger sind gerade in Zeiten zunehmender sozialer Spaltung auf die Wahrung ihres Besitzstandes und sozialen Status bedacht. Wenn nötig, auch auf Kosten Anderer.

Natürlich geben sie das nicht offen zu. Sie verstecken es hinter einer Leistungsideologie, der zufolge sie selbst zu den schwer schuftenden Leistungsträgern dieser Gesellschaft gehören. Sie meinen zu wissen, was harte Arbeit bedeutet und in welcher Arbeitssituation sich jene befinden, deren Dienste sie in Anspruch nehmen. Niemals würden sie deren Entlohnung für sich selbst akzeptieren. Eben so wenig würden sie jemals mit dem existenzminimalen Betrag eines Grundeinkommens auskommen. Der bürgerliche Lebensstil hat schließlich seinen Preis. Im Gegenzug wollen sie dem Rest der Bevölkerung nicht einmal das Existenzminimum, also die Butter auf dem Brot, ohne Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft gönnen.

Die Verlogenheit und Widersinnigkeit der bürgerlichen Arbeitsmoral, die so gern das »leistungslose Einkommen« von Alg-II-Empfängern anprangert, wird spätestens deutlich, wenn es etwas zu erben gibt. Wer von den Leistungsaposteln würde dieses ausschlagen, nur weil es ihm »leistungslos« zufiele? Vor diesem Hintergrund wirkt es nur albern, das BGE als Hängematte oder »Jahrmarkt im Himmel« zu diffamieren. Wer Derartiges von sich gibt, darf sich fragen lassen, wie er/sie es mit demokratischen Grundrechten hält. Wie steht es mit garantierter Freiheit und Gleichheit? Einen Erfolg kann die Grundeinkommensidee hier bereits für sich verbuchen: Sie hat die herrschende Arbeitsmoral an diesen Grundansprüchen gemessen und für zu kurz befunden.

Nochmals sei klargestellt: Es gibt kein »Zurück in die Vergangenheit« der Vollbeschäftigung. Jeden Tag straft der technische Fortschritt dieses Wunschbild Lügen. Und die Rationalisierungspotenziale sind noch lange nicht ausgeschöpft, wie man an der letzten Ankündigungswelle von Stellenstreichungen erkennen konnte. Wenigstens in der Piratenpartei wurde das mehrheitlich verstanden. Die immer noch reflexartige Ablehnung der Grundeinkommensidee beweist nur, wie weit das Denken der Entwicklung hinterher hinkt. Und wie ungern von Besitzständen – auch geistigen – abgerückt wird. Dass das BGE nicht nur theoretisch, sondern praktisch funktioniert, zeigen die Pilotprojekte in Namibia und Brasilien. Dort brach allen Unkenrufen zum Trotz nicht die große Faulheit aus, sondern die Menschen entwickelten eine kaum für möglich gehaltene Eigeninitiative.
Harald Schauff ist verantwortlicher Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen Selbsthilfe-Mitmachzeitung »Querkopf«, die für 1,50 Euro auf der Straße verkauft wird. Diesen Artikel hat er in der aktuellen Ausgabe des »Querkopf« veröffentlicht.