Leserbrief
Marian Zengel
15.11.12
Leserbrief zum Beitrag « Mehr Sanktionen bei Hartz IV »
Im deutschen Sozialrecht herrscht der Grundsatz des "Förderns und
Forderns".
Er koppelt die Gewährung staatlicher Leistungen für
Arbeitslose an deren Mitwirkung, sozusagen als Gegenleistung. Dieser
Grundsatz findet sich in den Sanktionsnormen des Paragraphen 31a SGB II
wieder, die es erlauben, ALG-II-Beziehern in bestimmten Fällen das Geld
zu streichen.
Im vergangenen Jahr wurden mehr als
912.000 Sanktionen verhängt, so viel wie nie zuvor. Grund für die
Leistungskürzung ist eine angebliche Pflichtverletzung. Pflicht ist die
Meldung beim Jobcenter, wobei das Jobcenter über den Termin entscheidet.
Pflicht ist die Annahme jeder zumutbaren Arbeit; "zumutbar" ist fast
alles. Pflicht ist auch die Erfüllung einer
"Eingliederungsvereinbarung", die aus freiem Willen niemand abschließen
würde. Kommen mehrere Pflichtversäumnisse zusammen, wird der gesamte
Regelsatz gekürzt.
100
Prozent Kürzung von 374 Euro sowie die 100-prozentige Kürzung der
Kosten für Unterkunft und Heizung ergibt unter dem Strich null Euro pro
Monat. Ob jetzt noch Sachleistungen und Lebensmittelgutscheine
ausgegeben werden, hängt vom Gutdünken des Jobcenters ab. Durch das
Prinzip des "Förderns und Forderns" wird eine Art Vertragsverhältnis
zwischen Staat und Bürger vorgegaukelt, das heißt, von zwei völlig
ungleichen Partnern. Der Bürger soll sich sein unverfügbares Grundrecht
durch regelgerechtes Verhalten verdienen.
Um sein
Recht zu bekommen, das eigentlich vom Grundgesetz garantiert wird, muss
er eine Gegenleistung erbringen. Dem ganzen liegt ein Menschenbild zu
Grunde, das von Faulheit und Betrug ausgeht und weder dem realen
Menschen noch unserer Verfassung entspricht. Dieses Prinzip führt dazu,
dass die vom Grundgesetz geschützte Wahrnehmung von Freiheitsrechten wie
Berufsfreiheit und Selbstbestimmung plötzlich Bestrafung erfährt.
Es
führt dazu, dass in einem der reichsten Länder Menschen im Müll nach
Pfandflaschen suchen oder nur noch überlagerte Lebensmittel von
gemeinnützigen Vereinen erhalten. Der eingangs erwähnte Grundsatz des
"Förderns und Forderns" ist sozialstaatsfeindlich und mit der
Vorstellung allgemeiner Menschenrechte nicht mehr vereinbar. Die
sogenannte Arbeitsmarktreform ist ein gesellschaftlicher Rückfall in die
Zeit vor der Bürgerlichen Revolution in Frankreich 1789, in die Zeit des Feudalabsolutismus.
Quelle
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