Monday, 22 October 2012

Ich soll (endlich) auf die Straße gehen?




Aus aktuellem Anlass möchte ich bitte mal folgendes klarstellen:

Immer wieder kommt es vor, daß ich von unzufriedenen Menschen höre, wie sie unsere Gesellschaft der Untätigkeit oder der Bequemlichkeit anklagen. Sie geben vor, die Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme wäre der Sturz der Machthaber, was angeblich so einfach wäre, wenn sich nur genug Leute dazu entscheiden würden zu revoltieren. Hiermit möchte ich einmal ganz klar herausheben, daß es nicht so einfach ist.

Erstens, die meisten Menschen sind mit dem System unzufrieden, fühlen sich der Situation gegenüber jedoch zu Recht ohnmächtig; wenn alles so einfach wäre, wären die notwendigen Schritte doch längst eingeleitet worden. Zweitens, das Revoltieren, so wie es sich manche Unzufriedene vorstellen, käme scheinbar aus dem blauen Himmel, denn sowas bedarf, ihrer Meinung nach, keine Koordinierung.

Merkwürdigerweise bekomme ich nie eine Antwort auf meine Frage, wie das gezielte Revoltieren genau ablaufen soll. Eine signifikante Anzahl an Menschen wollen zuerst vernünftig informiert, ausgerichtet (auf ein Ziel) und zeitlich verabredet werden. Wenn das nicht geschieht, wird es auch kein gemeinsames Vorankommen geben. Einzelkämpfer verpuffen regelmäßig ohne jemals die Spur einer Chance gehabt zu haben, denn nur gemeinsam sind wir stark.

Wie wir alle wissen, könnten die Fernsehanstalten uns alle absolut problemlos informieren, ausrichten und verabreden - werden sie aber niemals tun, denn wo es keine Demokratie gibt, existieren auch keine unabhängigen Medien. Die Demokratie hat in ähnlicher Weise versagt wie der Kommunismus - beide Staatsformen teilen sich die selben Gründe: Korruption und Interessenskonflikte.

Schauen wir uns einmal an was ein Unzufriedener tun könnte, wenn er sich entscheidet es selber auf die Beine zu stellen um etwas gegen die Ohnmacht zu tun:

Der unzufriedene Herr Mustermann nimmt sein Notizblock und geht von Haustür zu Haustür und klingelt. Er fragt jeweils, ob die Bewohner auch mit den Zuständen in Deutschland unzufrieden sind, was sie mehrheitlich bejahen. Prima, sagt Herr Mustermann und möchte sein Gegenüber verbindlich zu einem Termin einladen, an dem wir uns alle auf der Straße treffen und möglichst lautstark und wirksam revoltieren um die Aufmerksamkeit der Medien und der Verantwortlichen zu erregen und auf einen drigenden Handlungsbedarf hinzuweisen. Dabei möchte Herr Mustermann auch die unterschiedlichen Zeiten beachten, denn nicht jeder hat immer Zeit.

An einem Abend hat Herr Mustermann innerhalb von 4 Stunden mit etwa 48 Leuten gesprochen (im Durchschnitt etwa 5 Minuten pro Haushalt). Davon ist jeder zweite auf die Idee angesprungen, also 24 im optimalen Fall. Wenn wir davon ausgehen, daß Herr Mustermann die Verabredungen alleine bewerkstelligt, dann müsste er 800 Stunden bzw 200 Tage lang durch die Straßen ziehen und an Haustüren Klingeln, um 4800 Leute zusammen zubekommen (lol). Ob am Ende all jene, welche zugesagt haben, auch verlässlich sind und mitmachen, steht nicht 100%ig fest. Und ob alle, welche mitmachen, auch die bitter notwenige Entschlossenheit und die Todesverachtung mitbringen, ist genauso ungewiss, wie der Ausgang bei einer Konfrontation mit bis über beide Ohren bewaffnete, gehirnlose, Befehlsausführer, welche die Aufgabe haben, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. In den Medien wird dann mit einigen Sätzen erwähnt, daß ein paar hundert rechtsradikale, gewaltbereite, terroristische Ausländer mit niederen Beweggründen, welche zur Zeit leider nicht bekannt sind, erfolgreich in Gewahrsam genommen wurden .. jedenfalls jene, welche nicht gleich ins Krankenhaus bzw bedauerlicherweise ins Leichenschauhaus transportiert werden mussten.

Was haben wir heute gelernt?

Daß eine geplante Versammlung, um die Kräfte zu bündeln, ohne die Hilfe der Medien kaum möglich ist. Somit bitte ich auch zukünftig auf die gegenseitigen Beschuldigungen der Untätigkeit bzw Feigheit hier und anderswo zu verzichten.
Danke

Den Text von oben hatte ich veröffentlicht, weil ich häufig von Leuten lese, wie sie sich abfällig über unsere Mitmenschen äußern, als ob sie nur zu doof wären die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, d.h. (endlich) auf die Straße zu gehen.

Zum einen beinhaltet die Forderung das Versprechen einer Wendung zum Guten, wenn sich nur genug Leute zum Revoltieren finden würden. Daß aber niemand von den Bereitwilligen wissen kann, wann und wo die Großdemo stattfinden soll, davon wird nicht ein einziges Wort verloren. Und ob das Versprechen überhaupt eingelöst werden kann, steht außerdem nicht nur in Frage, sondern scheint in Anbetracht von Schlagknüppel, Pfefferspray, Wasserwerfern und Bußgeldern sehr unwahrscheinlich zu sein.

Interessanterweise ergab sich zum Text von oben der folgenden Dialog:

Jan H. Jaja wie sinnfrei solcherlei Texte insbesonders im Hinblick auf den Mauerfall sind ist natürlich nicht zu bezweifeln.

Ich: Komm erst mit einer Lösung, bevor Du meinen Text abwertest.

Jan H.: Du hast auch keine - du sagst nur "Fresse halten, weiter wie bisher". Wenn eine Lösung gefunden wird doch wohl nur, wenn die "Unzufriedenen" sich zusammentun - und das passiert in der heutigen Zeit durchaus auch über Plattformen wie Facebook.

Ich: Das finde ich nun sehr lächerlich. Du unterstellst mir zum einen, daß ich nicht möchte, wenn andere sich über das System beschweren. Warum würdest Du sowas tun, außer Du hast absolut nicht verstanden, worum es geht? Darüber hinaus kommst Du mit einem Beispiel, dessen Erfolg KOMPLETT aussteht.

Jan H.: Tut er das? Wir haben hier über Facebook gerade ein sehr erfolgreichen Bürgerprotest organisiert, Demonstrationen veranstaltet und unsere Interessen erfolgreich Verteidigt. Also ein kompletter Erfolg. Und wenn du Kritik äusserst, dann steck auch welche ein - du wertest hier Menschen ab, die versuchen sich gehör zu verschaffen, du unterstellst diesen Menschen sie wären onmächtig und du behauptest das Sstem sei gescheitert. Ausserdem hast du deinen Gedankengang von Mac Mustermann nicht zu Ende gedacht. Denn wenn nur die Hälfte der angesprochenen selber losgeht und Leute anspricht, sieht das ganze schon anders aus. Deine Argumentation hast du also selbst ad Absurdum geführt.

Ich: Aha, Du möchtest mich kritisieren ohne daß ich Widerworte leisten darf. Also dann hast Du grundsätzlich immer Recht weil niemand Dir das Wasser reichen kann, richtig? Ich stecke Kritik jederzeit ein, wenn sie angebracht ist. Ist sie bei Dir aber nicht.

Brigitte S.: Ah, hier wird mal wieder Solidarität geübt ... herzlichen Glückwunsch!
Vielleicht war Michaels Beispiel nicht sehr glücklich, aber wo wertet er jemanden ab? Er bittet nur darum, andere nicht anzufeinden, weil sie VERMEINTLICH nichts tun.

Jan H.: Michael M., wie wäre es mit Argumenten - ich sehe bei dir jedenfalls keine. Und nein, Recht habe ich mit bestimmtheit nicht immer, wir sind alle schliesslich nur Menschen. Brigitte, solidarität gern, dann aber bitte in Vernünftigen Bahnen und nicht in der Form wie oben.

Ich: Brigitte hat meinen Text verstanden. Jan Hamann nicht. Aber ich habe auch keine Lust einem Blinden die Farben zu erklären.

Jan H.: Michel M. - ich warte immer noch auf Argumente und nicht auf plattitüden. Übrigens wertest du gerade wieder ab - bist du so klein oder warum versuchst du andere klein zu machen?

Ich: Such Dir jemand anderen, dem Du Deine Frustrationen geben kannst.

Er bezeichnet meinen Text als sinnfrei und gibt dabei den Fall der Berliner Mauer als Gegenbeispiel an, daß Revoltieren ohne vorherige Absprache erfolgreich wäre. Er unterstellt mir, daß mein Text eine Lösung der gesellschaftlichen Probleme anbieten würde. Er unterstellt mir weiterhin, daß ich die Absicht hätte zu unterbinden, daß Leute sich über das System beschweren. Keine Ahnung wie er darauf kommt, daß ich Versammlungen generell verbieten möchte. Zu dem Erfolg von Protesten gibt er ein aktuelles Beispiel an, welches online initiert wurde und angeblich sein Ziel zu 100% erfüllt hat. Weder weiß ich worum es genau geht noch kann ich den Prozess nachvollziehen - er denkt ich glaube einfach alles, was Leute mir erzählen.

Er fordert mich auf Kritik einzustecken, wenn ich schon welche austeile. Nun, das ist eine besonders dümmliche Forderung, welche jegliche Logik missen läßt. Weder haben wir seine Kritik an meinen Text geklärt, noch darf ich mich seinen Worten nach verbal wehren, denn ich soll seine Kritik gefälligst ohne Widerworte einstecken. Er geht noch weiter mit seinen kühnen Behauptungen, er beschuldigt mich Leute abgewertet zu haben. Ich habe mit meinem Text Kritik gegenüber denjenigen geübt, welche eine vermeintliche Lösung anbieten und über die Unterlassung der Durchführung zur Lösung die Menschen im allgemeinen der Untätigkeit beschuldigen. Wer hat nun wen abgewertet? Die von mir angesprochene Gruppe, welche uns allen die Schuld für den Stillstand an Reformen geben will, oder ich mit meiner Kritik an die haltlosen Forderungen diese Gruppe? Wieso unterstellt er mir, daß ich den Menschen Ohnmacht unterstelle? Ich weiß aus vielen Gesprächen, daß sich die meisten von uns dem System gegenüber ohnmächtig fühlen - das ist keine Unterstellung.

Weiter beschwert er sich, daß ich meinte das System wäre gescheitert. Vermutlich spielte er auf meine Feststellung an, daß die Demokratie offensichtlich nicht funktioniert, denn die Gewaltenteilung funktioniert ja noch nicht mal. Er meint, ich hätte den Gedankengang von Herrn Mustermann nicht zu Ende gedacht, weil wenn andere Überzeugte ihrerseits wiedrum losgingen um Überzeugungsarbeit zu leisten, kämen wesentlich mehr Leute in kürzerer Zeit zusammen. Wenn das alles so einfach wäre, warum hat es noch nicht stattgefunden? Er schießt mit Kritik wie mit einer Maschinenpistole auf mich ein ohne einen Punkt nach dem anderen klären zu können. Er ist fest entschlossen zu dominieren. Eine Mischung aus Beleidigungen und Nebelbomben sind seine Strategien.
Eine Diskussionskultur unter aller Sau.

Ich verstehe, daß hinter all den Aggressionen auch Hilferufe stehen, von Menschen die eine Menge in ihrem Leben haben einstecken müssen und damit nicht fertig werden. Jeder geht mit seinen Problemen anders um - manche richten sich an ihre Aggressoren, manche schädigen sich lieber selber als andere und manche geben ihre Frustrationen hemmungslos jedem Unschuldigen den sie zu fassen bekommen. Ein erheblicher Überschuss an angestaute Wut, unfähig Empathie zu empfinden oder gar eine Persönlichkeitsstörung nach "Cluster B" mögen wohl Gründe dafür sein.







Quelle





Kompletter Beitrag



Siehe auch:

"Gelbwesten"-Proteste - Das Schweigen über die Verletzungen vom 09.02.19

Polizeigewalt in Frankreich - Hände zerfetzt, Augen weg vom 10.02.19


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Thursday, 11 October 2012

Zärtlich allein
































Ich geh vor die Tür und klingel bei mir,
ich habe Sehnsucht, hab Sehnsucht nach dir
sag ich zu mir und lass mich herein
und dann bin ich mit mir

zärtlich allein, allein mit mir,
zärtlich allein.

Ich koch schwarzen Tee und biet ihn mir an,
ich sag, dass ich auch Kaffee kochen kann.
Dann sag ich Danke und nehm Kaffee,
trink ihn gemeinsam mit mir und dem Tee.

zärtlich allein, allein mit mir,
zärtlich allein.
Zärtlich allein, allein mit mir,
allein mit mir.

Erzähl mir, was los ist, was ist passiert?
Ich höre mir zu, ich bin interessiert.
Ich plauder mit mir, und wenn es dann lacht,
bin ich das, ich hab einen Scherz gemacht.
Fast hätt ich vergessen: Schau einmal hier:
Was ist das? Schau doch! Na ja, ich hab mir,
wie sag ich das mal? Gedanken gemacht
und hab dir dies hier, na ja, mitgebracht.

Ich meine, wann hab ich dir das letzte mal gezeigt,
dass ich dich gern hab? Sag nicht, das wäre nicht nötig gewesen.
Ich mag dich.

Komm doch mal wieder, du, es war schön,
ich möchte dich gerne wieder sehn.
Ruf einfach an oder schau mal vorbei,
wie wäre es am Mittwoch gegen drei?

Zärtlich allein, allein mit mir.
Kannst du da? Dann machen wir es fest.
Zärtlich allein, allein mit mir.
Sonst wird da nie was draus, du weißt ja, wie das ist.

Mittwoch um drei. Ich freu mich schon!
Zärtlich allein


Friedhelm Kändler

Hartz IV - der Menschenabfall

09.10.2012


Seit August 2005 bin ich Beschäftigte in der Hartz-IV-Maschine mit täglichem Kundenkontakt. Häufig schon wurde ich von Freunden und Bekannten aufgefordert, meine Erfahrungen einem größeren Publikum öffentlich zu machen. Vor wenigen Tagen hatte ich damit begonnen, erste Stichworte und Überschriften zu Papier zu bringen. Eine der Überschriften lautet: „Die Toten aus der Maschine“. Gemeint ist die Hartz IV-Bürokratie, die Hartz IV-Maschine.

Am 26. September 2012 war es soweit. Eine Mitarbeiterin des Jobcenters Neuss wurde von einem ihrer „Kunden“ tödlich mit einem Messer verletzt. Die Reaktion der Bundesagentur für Arbeit war symptomatisch: Übergriffe in Behörden kämen leider immer wieder vor, sagte die Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Ilona Mirtschin. "Es sind Einzelfälle, die hohe mediale Aufmerksamkeit erregen. Das ist nichts, was spezifisch für Jobcenter ist." In einigen Jobcentern und Arbeitsagenturen würden externe Sicherheitsdienste beschäftigt, die im Falle eines Konflikts einschreiten könnten. Die BA biete Mitarbeitern, die regelmäßig in Kontakt mit Kunden sind, spezielle Deeskalationstrainings an. Für mich kam es nicht überraschend, dass am 26. September 2012 eine meiner Kolleginnen durch einen ihrer „Kunden“ zu Tode kam. Anders als es die Bundesagentur für Arbeit durch ihre Sprecherin verlauten ließ, liegt die Ursache dafür in der Struktur, im System, in der Organisation der Verwaltung des „Menschenabfalls“. Jenes Menschenabfalls, der in den Jobcentern zu nützlichen Mitgliedern für die Gesellschaft recycelt werden soll. Dabei wird über Leichen gegangen, nicht nur im übertragenen Sinne, sondern im Wortsinn.

Die Ursache liegt in der Struktur der Gewalt, die gegen Hartz IV Leistungsberechtigte wie gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern täglich, stündlich, ja minütig ausgeübt wird

Die getötete Kollegin ist nicht die erste Tote aus der Maschine. Und die Ursache liegt in der Struktur der Gewalt, die gegen Hartz IV Leistungsberechtigte wie gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern täglich, stündlich, ja minütig ausgeübt wird. Eine Gewalt, die von den Mächtigen, den Besitzenden ausgeht, wobei die Politik nichts anderes ist als ihre bezahlte Hure. Der Begriff des „Menschenabfalls“ begegnete mir in Zygmunt Baumans Veröffentlichung „Flüchtige Zeiten, Leben in der Ungewissheit“ aus dem Jahre 2008. Er bezieht sich darin auf Menschen, die in verschiedenen Lebenssituationen an den Rand oder aus der Gesellschaft heraus gedrängt werden: „Solange es möglich ist, den Bevölkerungsüberschuss (den Teil, der nicht in die `normale´ Gesellschaft reintegriert und nicht für die Aufnahme in die Kategorie der `nützlichen´ Gesellschaftsmitglieder wiederaufbereitet werden kann) regelmäßig aus einem bestimmten Gebiet zu entfernen, innerhalb dessen ein ökonomisches und soziales Gleichgewicht angestrebt wird, sind Menschen, die dem Abtransport entgangen sind und in dem betreffenden Gebiet verbleiben, für das `Recycling´ beziehungsweise für die `Rehabilitation´ vorgesehen. Sie sind nur vorübergehend `draußen´, der Zustand ihrer Exklusion ist eine Abnormität, die ein Heilmittel und eine Therapie verlangt; man muss ihnen auf jeden Fall helfen, so schnell wie möglich wieder `hinein´zukommen. Sie sind das `Ersatzheer an Arbeitskräften´ und müssen in Form gebracht und erhalten werden, so dass sie bei nächster Gelegenheit in den aktiven Dienst zurückkehren können. (…) Je länger die `überflüssige´ Bevölkerung im Land bleibt und mit dem `nützlichen´ (…) Rest in Berührung kommt, desto weniger kann die beruhigende Eindeutigkeit der Trennlinien zwischen `Normalität´ und `Abnormität´ zwischen vorübergehender Untauglichkeit und der endgültigen Zuordnung zum `Abfall´ aufrechterhalten werden. Dem `Abfall´ zugeordnet zu werden kann nicht mehr, wie zuvor, als Schicksal wahrgenommen werden, das auf einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung beschränkt ist, sondern wird zu etwas, das jeden treffen kann. (…) Die gewohnten Werkzeuge und Interventionsstrategien (…) sind zu schwach und kaum geeignet, um dieser neuen Form des `Abfallproblems´ zu begegnen.“

Man erinnert sich unweigerlich an Gerhard Schröders vollmundige Ankündigung der Agenda 2010, an die medienwirksame Inszenierung der Überreichung des Datenträgers (auf dem die Hartz-Gesetze abgespeichert waren) von Peter Hartz an den Kanzler. Vollmundig erklärte der Kanzler im Blitzlichtgewitter der Pressefotografen, das Ersatzheer an Arbeitskräften werde mit Hartz IV in Form gebracht, um bei dem zu erwartenden Aufschwung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen zu können. Sozialhilfe (für Erwerbsfähige) und Arbeitslosenhilfe wurden zusammengefasst zu einer neuen Leistung: Arbeitslosengeld II, offiziell „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ gerne auch „Hartz IV“ genannt. Tatsächlich handelt es sich bei einem Großteil der Leistungsempfänger von Arbeitslosengeld II um Menschen, die aus verschiedenen Gründen gar nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen (können oder wollen), oder um Beschäftigte, die einen Hungerlohn erhalten und aufstockend Leistungen beziehen.

Generelle Bezeichnung "Langzeitarbeitslose" irreführend


Empfänger von Arbeitslosengeld II generell als Langzeitarbeitslose zu bezeichnen, wie in weiten Teilen der Medien und in Sonntags-Talkauftritten von Politikern üblich, ist irreführend. Nur ein geringer Teil der Leistungsberechtigten gerät allein deswegen in den fragwürdigen Genuss von Hartz IV-Leistungen, weil er zuvor gearbeitet hat, arbeitslos wurde und nach 12 bis 18 Monaten sein Arbeitslosengeld I ausgelaufen ist und der Arbeitslose noch nicht wieder „recycelt“ werden konnte. Im Rahmen der Agenda 2010 wurde die Zeitarbeit (auch Leiharbeit oder Arbeitnehmerüberlassung genannt) ausgebaut. Rot-Grün senkte die Steuersätze für Spitzenverdiener und brachte mit Rentenreform und Riester-Rente eine Sozialkürzung ungeahnten Ausmaßes über das Land. Dinge, die heute im Jahre 2012, im aktuellen Vorwahlkampf auf die Bundestagswahl 2013 von den SPD-Oberen angeprangert werden als seien sie des Teufels und nicht die Ausflüsse ihrer eigenen, früheren Politik. Der „Basta-Kanzler“, der „Kanzler der Bosse“ hat sich bei seinem jahrzehntelangen Marsch durch die Institutionen korrumpiert. Selbstgefällig und narzisstisch ließ er seinen Allerwertesten auf dem Sessel im Kanzleramt nieder, beseitigte mit Oskar Lafontaine den letzten Makroökonom aus dem Kabinett, posierte nebenberuflich im Designeranzug und mit Imponierzigarre im Wochenmagazin „Stern“, und ließ sich fortan vom Kapital durch die Manege treiben um sich am Ende seiner politischen Karriere vom Musterdemokraten und russischen Neuzaren Wladimir Putin auf einen noch bequemeren Sessel als den im Kanzleramt hieven zu lassen: ein Beratersessel bei Gazprom.

Nachdem die Bundestagswahl im Herbst des Jahres 1998 Rot-Grün als Sieger hervorbrachte, ich befand mich gerade am Ende meines Studiums der Sozialarbeit, jubelten die Professoren und nebenberuflich Lehrenden an meiner Fachhochschule: jetzt wird alles besser, sozialer, gerechter. Auf meinen Einwand und meine Prognose hin, dass all jene sozialen Grausamkeiten, die von einer Kohl-Regierung gegen eine starke SPD-Opposition im Bund und Mehrheit im Bundesrat bis dato nicht durchsetzbar waren, in Kürze aber mit Kanzler Schröder kommen würden, erntete ich von den „Experten“ nur ungläubiges Kopfschütteln. Leider behielt ich recht.

Nun wird immer wieder versichert, die Reformen seien unverzichtbar gewesen und hätten die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gesichert. Man stehe heute im internationalen Vergleich wirtschaftlich und die Arbeitsmarktstatistik (per Gesetz und dienstlicher Anweisungen manipuliere ich diese Statistik täglich) betrachtend besser da als vor den Reformen, besser da als Länder, die diese Reformen bislang versäumt hätten: Frankreich, Griechenland, Spanien etc. Durch alle Medien, über alle Kanäle wird diese Botschaft beständig auf die Bevölkerung abgeschossen. Wer dem nicht folgt, der wird als Antidemokrat, als Antieuropäer diffamiert. Doch das ist die Realität: Der Rückzug der Politik von der Macht, ihre Selbstentmachtung, und die damit einhergehende Machtübernahme durch das Kapital (also durch die wirtschaftlich Mächtigen und global Handelnden) presst in immer unverhohlener Weise das sogenannte Humankapital aus. Die Konzentrierung des Reichtums in wenigen Händen und die Umverteilung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums nach oben lassen das Heer des „Menschenabfalls“ global anwachsen. Die dem kapitalistischen System immanente Expotentialfunktion des Wachstums und sein Zinssystem führen zu immer neuen Übernahmeschlachten. Übernommen werden dabei aber mittlerweile nicht bloß andere Unternehmen sondern ganze Volkswirtschaften.

Hartz IV ist ein Baustein, ein Instrument zum Machterhalt der Besitzenden


Die aktuelle Entwicklung in Europa, bei der ein Rettungsschirm den nächsten jagt und die Europäische Zentralbank bereits den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen ausgerufen hat, all dies bloß um angeblich die Märkte zu beruhigen, zeigt die unendliche Gier des Dämons Mammon. Der entfesselte Kapitalmarkt hat nun auch mit den von den Regierungen zu leistenden Bürgschaften endlich Zugriff auf das Steuereinkommen der Nationalstaaten, insbesondere Deutschlands als derzeit potentestem Bürge. Er diktiert, wo es lang geht: Lohnkürzungen und Sozialabbau in den Ländern, die unter den Schutz der Rettungsschirme flüchten wollen oder müssen. Es stellt sich nicht lange die Frage, wann auch dieser fette Happen Kapitals für die meisten schmerzhaft, für die Besitzenden aber gewinnbringend verschlungen, verdaut und in Form von weiteren Einschränkungen der Menschenrechte ausgeschissen sein wird.

Die Kapitulation der Politik vor den wirtschaftlich Mächtigen konnte nicht treffender auf den Punkt gebracht werden als unlängst im Morgenmagazin des öffentlich rechtlichen Fernsehens durch den Auftritt eines FDP-Politikers, immerhin Mitglied des Bundestags. Befragt zu den Entscheidungen des Bundestags im Zusammenhang mit den Euro-Rettungsschirmen gab er zu, die wenigsten Politiker würden die Dinge in ihrer Komplexität verstehen. Er selbst nehme sich da nicht aus, anderenfalls säße er ja (besser bezahlt) in den Schaltzentralen der Banken.

Hartz IV ist ein Baustein, ein Instrument zum Machterhalt der Besitzenden, zur Zementierung der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit und Ungleichheiten, davon bin ich heute nach sieben Jahren der Mitarbeit in der Hartz IV-Maschine überzeugt. So wie es die IWF-Toten bei Unruhen gibt, wenn die Regierungen armer Länder gezwungen werden, die Lebensmittelpreise freizugeben und ihre Ordnungskräfte auf die Protestierenden schießen lassen, so wie es die Monsanto-Toten gibt, weil der indische Reisbauer durch zu kaufendes Saatgut und dazu passende Pestizide krank und überschuldet lieber den Freitod wählt, so gibt es die Toten aus der Hartz IV-Maschine: Menschen, denen in ihrer Verzweiflung nichts besseres einfällt, als sich selbst oder andere zu töten. Dem Täter aus Neuss musste klar gewesen sein, dass er durch seine Tat nicht nur das Leben eines anderen sondern letztlich auch sein eigenes kleines und (von den Mächtigen) beschissenes Leben zerstören würde. Er hatte in dieser Weltordnung keine Chance, und meine Kollegin leider auch nicht.
Quelle



Es ist nicht einfach, das Thema aufzugreifen.
Das Hartz-IV-System ist so menschenfeindlich, dass dramatische Folgen nicht ausbleiben.

Wie zynisch ist es, wenn man daran denkt, dass Ursuala von der Leyen 2010 im Zusammenhang mit der Einführung der Bürgerarbeit sagte: ” Erfahrungsgemäß könnten vier von fünf Arbeitslosen auf diese Weise vermittelt werden oder verzichteten freiwillig auf Regelleistungen.”

Weil uns immer wieder Hinweise zugeschickt werden auf die Fälle, wo Menschen in-/oder in Folge von- Hartz-IV gestorben sind, sollen diese hier auch veröffentlicht werden.

Quelle


 

Tuesday, 2 October 2012

Die Stille vor dem Sturm

Tanja Gwiasda
02.10.2012

Die schlechten Nachrichten kommen in immer kürzeren Abständen, bei immer mehr Aktiven macht sich eine gewisse Ermüdung breit. Alleine die immer kürzeren Abstände von schlechten Nachrichten wie Armutsberichte, Berichte über immer grössere werdende Schere zwischen Arm und Reich, Forderungen einer Troika über weitere existenzbedrohende Einsparungen bei der griechischen Bevölkerung, weitere "Sparpakete" nur bei der normalen Bevölkerung in verschiedenen Ländern zugunsten von Zinzzahlungen an Banken, richtig hartes Durchgreifen der Staatsmachten gegen aufbegehrende Bevölkerungen, kriegstreibende Politiker, Massaker an Bevölkerungen wo niemand mehr durchblickt wer auf wen und warum schiesst, Tod und Elend usw. lässt den Menschen kaum noch eine Chance, psychisch gesund zu bleiben, ausser durch Verdrängen. Man kann fast nur noch Depressionen bekommen. Die Welt steht an einem Scheidepunkt, wir leben in einer Zeit des Umbruchs.
Was und wie es letztendlich werden wird, weiss niemand wirklich genau. Es gibt viele Variablen die reinspielen und wie die Welt von Morgen sein wird, liegt allein an uns Menschen. Ich denke nur eines: so wie bislang wird es nicht weitergehen können; ewiges Wachstum ist nicht möglich in einer Welt der endlichen Ressourcen. Unser System basiert auf Ausbeutung von Menschen, Tieren und Umwelt hierzulande ebenso wie weltweit.

Ich möchte dieses für mich nicht mehr.