« Moderne » Arbeitsmarktpolitik
Paul Duroy
31.08.2012
« Erwerbsfähige, die angebotene Arbeitsplätze zweimal ohne
berechtigte Gründe abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber
ohne stichhaltigen Grund wieder aufgegeben haben, sind der Gestapo zu
melden. (...) Diese Menschen sind in polizeiliche Vorbeugehaft zu
nehmen. Vor allem sind hier zu berücksichtigen:
Landstreicher,
Bettler, Asoziale, Zigeuner und nach Zigeunerart herumstreunende
Personen (...), die gezeigt haben, dass sie sich in die Ordnung der
Volksgemeinschaft nicht einfügen wollen. »
Heinrich Himmler in einem Schnellbrief-Erlass am 1.6.1938, zitiert aus Peter Longerich - ''Heinrich Himmler - Eine Biographie''
Der Leser mag nicht erschrecken, dass zum Auftakt dieses Eintrages
ein derart streitbarer Charakter zitiert wird. Dieses etwas krude
Auftaktzitat darf der Leser in einem beißend grellen Lichte lesen, wenn
er bedenkt, dass die ''moderne'' deutsche Arbeitsmarktpolitik anno 2011
weiterhin unbeirrt auf die massive Mobilisierung der von vornherein als
''arbeitsscheu'' Verdächtigten durch den Staat setzt. Dem ''modernen''
Staat ist keine ''Arbeits-Maßnahme'' (die sich bereits im ''Dritten
Reich'' haargenau so nannte) zu schade, den doch nach der reinen Lehre
eigentlich mündigen, aber derzeit arbeitslosen Bürger zu schikanieren
und zu malträtieren. Der Hartz-IV-Empfaenger ist von vornherein
verdächtig und hat, ohne Chance auf eine faire Diskussion auf
Augenhoehe, von allem Anfang an eine zweifelhafte Bringschuld. Eines der
ersten Essentials, welches ihm der sogenannte Arbeitsvermittler beim
Erst-Antrag beibringen wird, ist die Pflicht nach
Sozialversicherungsgesetzbuch, dass er im Grunde unrechtmaeßige
Leistungen bezieht, fuer deren Bezug er im Gegenzug unbedingt,
schnellstmöglich und unter maximaler Zumutung eine neue Arbeit zu
finden hat. Unterschwellig wird dem Sozialgeldempfänger suggeriert,
dass er vom gesunden Volkskörper zehrt und somit (und das Wort ist
''dank'' BILD und anderen Hetz-Blättern wieder erstaunlich salonfähig
geworden): ein ''Sozialschmarotzer''. Auch wenn kein Mitarbeiter der
Agentur für Arbeit das derart explizit ausdrücken würde.
1938 hatte der ''Reichsführer-SS'' Heinrich Himmler eine famose
Idee: zur Totalisierung der kurz vor dem Eintritt in den Krieg stehenden
deutschen Wirtschaft gälte es alle verfügbaren Arbeitskrüfte zu
maximalisieren und auszuschöpfen. Ein Ansatz war auch, das Freisein von
Arbeit zu einem Verbrechen qua definitionem auszuküren: wer also nicht
arbeitete oder frei umherzog, wurde gebrandmarkt als ''Asozialer'', als
und dies durchaus wörtlich: ''Sozialschmarotzer'', ein gefährlicher
Parasit am eigentlich gesunden ''Volkskörper''. Im Zuge dieser
Bemühungen schuf Himmler ein Projekt, dem er sich nun mit Feuereifer zu
wandte: das sogenannte ''Projekt'' mit der etwas krumm klingenden
Bezeichnung: ''Arbeitsscheu Reich''.
Menschen, die als ''Asoziale'' stigmatisiert wurden, die nach
heutigen Begriffen psychisch krank waren, wurden demgemäß in KZ's zur
Zwangsarbeit eingezogen (eben den sogenannten ''Maßnahmen'' und man
beachte übrigens wie inflationär die Agentur für Arbeit diesen
Begriff in ihren Info-Broschüren benutzt), sie waren vogelfrei und
konnten jederzeit nach einem ''Sondererlass'' (oftmals sogar ohne einen
solchen aus reiner Willkür) wegen Faulheit (!) erschossen werden.
Meine eigene Erfahrung mit der Agentur ist zB, dass ich damals, als
ich mich für ein halbes Jahr selbst auf Hartz IV begeben und mir
irgendwann die Schmach antun musste, meiner ''Vermittlerin'' zu
erklären, dass mir aus psychischen Gründen das ganze Verfahren absolut
gegen den Strich geht (ich hatte zuvor allerdings auch ganz offen,
unbedarft und überzeugt politisches Widerstreben ins Rennen geführt),
sie mir erklärte, ich müsse erkennen, dass ich fortan vorrangig den
Fokus auf den Erwerb eines neuen Jobs zu legen habe oder auf klardeutsch üebersetzt:
''dass es Ihnen angeblich psychisch nicht gutgeht, habe
ich überhoert, Sie fauler Sack, suchen Sie sich einen Job und es geht
Ihnen wieder besser.''
Ja, da habe ich sofort bei mir bemerkt: vielleicht ist aufgezwungene
Arbeit doch ein wahres Therapeutikum, vielleicht macht Arbeit, zumal
nach allen Gesetzen des Neoliberalismus, doch frei und unbeschwert.
''Arbeit macht frei'', dieses ermutigende Spruchband könnte nach der
bestechenden Alleinstellung der Arbeit doch über allen
Agentur-Eingängen stehen, so dachte ich mir.
Absolut gänsehauterregend ist die (wenn auch unbewusste)
Kontinuität quasi-faschistischen Denkens, das hinter dieser
Glorifizierung der Arbeit als politisch-soziales Allheilmittel steckt
und die strenge und konsequente Sanktionierung bei Nicht-Beachtung des
auferlegten Prinzips. Heutzutage führt der Weg der sanktionierten
Faulheit zwar nicht mehr ins Arbeitslager und zur Gestapo, sondern in
die kalte Überlassenheit der Markt-Gescheiterten, man wird dann eben
zum Paria, zum Ausgestoßenen, zum Vagabunden und Landstreicher. Man wird
nur abgestempelt und von den Medien stigmatisiert und marginalisiert
als asozialer Einzlfall, als Schädling am bundesrepublikanischen und
doch eigentlich so gesunden Volkskörper. Vorzeige-Asoziale werden als
gewünschte Marionetten dieses Zerrbildes im Fernsehen vorgeführt, quod
erat demonstrandum. Die wiederum schüren einen Zorn der immer so
leicht zu erregenden Mittelschicht, die sich absolut bestätigt sieht in
ihrer beschränkten Weltsicht: für sie ist der Hartz IV-Empfänger per
se asozial, die alleinerziehende Mutter, die ''Leistung'' bezieht, eine
arbeitsscheue Halbmutter, die schon das nächste asoziale Individuum
auf Staatskosten heranzieht.
Besorgniserregend ist beim Blick auf die ''moderne''
Arbeitsmarktpolitik der Bundesrepublik, dass der freie Bärger als
souveränes Individuum als Empfänger staatlicher Transferleistungen von
einem Moment auf dem anderen zum verwalteten und zur Disposition
stehenden Objekt verkommt. Die Transferleistung ist plötzlich nicht
mehr ''Wohlfahrt'' und somit eine säkularisierte Form staatlicher
milder Gabe, sondern eine Art von Minimal-Alimentation, die von
vornherein grobe Verdächtigungen gegen das verwaltete Objekt, den
Transferempfänger, aussendet.
Zur Disposition steht der
Transferempfänger in allen Belangen: fast jeder Job ist zunaechst
einmal zumutbar, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er
Leih-/Zeitarbeiter wird und von dem Personaldienstleistungsunternehmen
nach freier Verfügung hin und her disponiert wird und, sollte der
Empfänger partout nicht arbeiten können/wollen, steht er zur
gesellschaftlichen Disposition: dann erfolgt die Leistungssperre, der
unausgesprochene Ausschluss aus der Gesellschaft, die ''dispositio'',
die der Lateiner mit ''Entfernung'' übersetzt. Man beachte auch, dass
''waste disposal'' im Englischen ''Mülldeponie'' bedeutet. Der Mensch
ist zu Müll geworden, seine Arbeitskraft erschöpft und womöglich
ausgebeutet, das nunmehr asoziale Element wird der kalten und
''bereinigenden'' Hand des Marktes überlassen. Diesselbe Hand wischt
den nunmehr Verfemten leichterdings an den alleräußersten Rand der
Gesellschaft.
Zuvor muss(te) sich der Arbeitslose einem inquisitorischen Verfahren
stellen, dass ihm explizit mitteilte, dass er auf Staatskosten, ja: auf
Kosten seiner Mitbürger lebt. Er musste gewaltige voluminoese Anträge
ausfüllen, die ihm Schikane dünkten und immer wieder Termine erdulden
(''wir üben jetzt mal wieder Frühaufstehen'') und Maßnahmen mitmachen,
die seiner Disziplinierung und dem unausgesetzen ergonomischen Training
dienten (die Wehr-Ertüchtigung für den Arbeitsmarkt). Jede Bewegung
aus der Heimatstadt sollte, nach der reinen Lehre, der Agentur
mitgeteilt werden und die Erlaubnis eingeholt werden. ''Unerlaubtes
Fernbleiben'' oder ''nichtmitgeteilte Fremdortaufenthalte'' werden
umgehend mit Leistungseinschränkung nach Paragraph XY Sozialgesetzbuch
oder Leistungsentzug geahndet.
''Die öffentliche und private Fürsorge hatte sich in der NS-Zeit grundlegend gewandelt. Immer mehr ging von Fürsorgeinstitutionen nicht mehr Schutz, sondern Bedrohung für Hilfesuchende aus.''
zitiert aus: Wolfgang Ayaß, ''Die Aktion Arbeitsscheu Reich''
Wenn ein demokratischer Staat beginnt, die Arbeitslosigkeit zwar
nicht ausgesprochen, aber doch im fortwährend stummschweigenden
Sub-Kontext zu kriminalisieren und man dann sieht, dass sich Regierungs-
und Oppositionsparteien (im übrigen weiterhin ergebnislos) um eine
Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes um 5 Euro (Regierung) oder 11 Euro
(juppieh! Opposition) streiten und nicht etwa um den generell gewaltigen
Änderungs- und Abschaffungsbedarf dieses absolut fehlgeschlagenen und
menschenverachtenden Projektes ''Agenda 2010'', drohen unserer
Gesellschaft rohe und düstere Zeiten. Wir hatten das alles schon
einmal ...
"F. ist ein arbeitsscheuer Mensch. Er lebt planlos im Lande herum und
lebt vom Betteln. Einer geregelten Arbeit ist er bisher noch nie
nachgegangen. Die Allgemeinheit muss vor ihm geschützt werden." So
lautete die vollständige Begründung der Kriminalpolizeistelle Kassel im
Haftbefehl gegen einen 27-jährigen Bettler im Juni 1938. Die vier
knappen Sätze waren ein Todesurteil. F. starb drei Jahre später im
Konzentrationslager Gusen, einem Nebenlager von Mauthausen.''
Quelle
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