Friday, 27 May 2011

Sich auf das Schlimmste einstellen



Wie lässt sich ein denkbarer Kollaps des weltweiten Wirtschaftssystems überstehen?


Eine Antwort auf Jared Diamonds Buch 
“Kollaps” von Werner Winkler


Einen Schirm in der Tasche zu haben, wenn man einen ganzen Tag im Freien unterwegs ist, lässt uns anders auf heranziehende Wolken blicken als ohne. Ebenso scheint
es mir sinnvoll und beruhigend, sich auf denkbare Szenarien vorzubereiten, die sich aus der Situation ergeben könnten, in der wir aktuell leben.

Um gleich zu Beginn drei möglichen Irrtümern vorzubeugen: Erstens bin ich keinesfalls sicher, dass das eintreffen wird, was ich pauschal (wie Jared Diamond in seinem gleichnamigen Buch) als “Kollaps” bezeichne.Aber ich halte es für denkbar und kann die Wahrscheinlichkeit nicht abschätzen – deshalb nehme ich lieber einen Schirm in mein Gepäck und freue mich, falls ich ihn nicht brauche. Zweitens: es geht mir nicht darum, sich nur noch um Schirme und das Wetter zu kümmern, sondern darum, den Aufenthalt im Freien um eine Sorgezu erleichtern. Und Drittens: ich habe leider kein Patentrezept anzubieten, wie man die Benutzung von Schirmen gänzlich überflüssig machen könnte – Leben bedeutet eben nicht nur, viele Möglichkeiten zu haben, sondern auch vielen Risiken ausgesetzt zu sein.

Die Menschheit lebt nun mehr seit ungefähr zehntausend Jahren in einem Experiment, das sich Sesshaftigkeit nennt. Viele haben das zwar vergessen oder würden bestreiten, dass es sich überhaupt um ein Experiment handelt. Sie nennen es stattdessen Fortschritt oder Entwicklung. Ich bezweifle, dass das dauerhaft so bleibt. Zur Erinnerung: Bis zu der Zeit, als unsere Vorfahren
begannen, Ackerbau zu betreiben, Häuser zu bauen und Tiere als Nahrungs-, Kleidungs- und Milchlieferanten zu halten, zogen deren Vorfahren viele zehntausend Jahrelang umher, sammelten, jagten, fischten, pflanzten vielleicht hier und dort eine Kleinigkeit an, um später etwas zu ernten. Vielleicht blieben sie auch einmal einige Tage, Wochen oder sogar Monate an einem Ort – aber es gab offenbar keinen Grund, sich dauerhaft an einem Ort nieder zu lassen. Demzufolge gab es auch kaum Anlass, mehr Besitz anzusammeln, als für den täglichen Gebrauch notwendig war – oder, um es mit dem Titel des Buches von Anne Donath zu sagen: Wer wandert, braucht nur, was er tragen kann.

Aber etwas anderes unterschied die Zeit vor der Sesshaftigkeit sehr deutlich von der danach, die ich “Experiment” nenne: Die Zahl der zur gleichen Zeit lebenden Menschen war wesentlich geringer als später. Menschen waren eine Art unter vielen anderen und dominierten nicht, wie heute, so gut wie die ganze Erde; geschweige denn veränderten sie ihre Umwelt so stark, dass ihr eigenes Überleben gefährdet würde. Das ist eine Spezialität unserer Experiment-Zeit.

Wenn man mit offenen Augen durch die heutige Welt geht und sieht, wohin sich das Experiment entwickelt, wird klar, dass es nicht noch einmal zehntausend Jahre in der gleichen Art weitergehen kann. Vielleicht nicht einmal hundert Jahre, es sei denn, wir finden zurück zur Zeit vor dem Experiment oder entwickeln etwas völlig Neues, womöglich einen Mittelweg zwischen beiden Möglichkeiten, wie ihn ganz wenige Gesellschaften, z.B.im Hochland von Neu-Guinea oder auf einigen kleineren Inseln im Pazifik (etwa Tikopia) jahrtausendelang beschritten haben*. Nur ist es unklar, ob und wann uns etwas Vergleichbares, Haltbares, Nachhaltiges gelingt oder ob das Experiment einfach endet, ohne dass noch eine rettende Option aufgetaucht ist. Diesen denkbaren Fall nenne ich hier “Kollaps” und wie man damit umgehen könnte, ist der Inhalt dieses Essays.

* Das Geheimnis beider Kulturen liegt offenbar darin, die vorhandenen Ressourcen so zu nutzen und zu pflegen, dass sie nicht verbraucht werden und gleichzeitig die Zahl der an einem Ort lebenden Menschen konstant zu halten. Jared Diamond hat in “Kollaps” beide beschrieben.


1. Leben heißt Veränderung

Wer versucht, einen Fluss dauerhaft anzuhalten, vergeudet nur seine Kräfte. Leben heißt Veränderung, weil das Leben seit Anbeginn gleichzeitig die Tendenz zur Abweichung von der Norm (Mutation), den Wunsch nach Optimierung und Anpassung (Fortschritt) sowie zu einem stabilen Gleichgewicht (Harmonie) zeigt. Und auch das Gleichgewicht bleibt nicht ewig, sondern wird durch Abweichung immer wieder in Frage gestellt. Sich diesen Prozessen zu verschließen hieße, sich dem Leben zu verschließen. Ebenso, wenn man nur einen der drei Stationen akzeptiert und zum Lebensmotto erheben möchte. Niemand kann dauerhaft nur mit Abweichung, mit Optimierung oder nur mit einem harmonischen Gleichgewicht existieren – weder ein Mensch, ein Unternehmen, eine Institution oder gar ein Staatswesen.

Veränderung ist also das, womit wir automatisch rechnen müssen und dürfen. Deshalb gibt es auch in der scheinbar aussichtslosesten Situation Grund zur Hoffnung. Aber genauso besteht selbst in einer sehr guten Situation stets Anlass zu einer gewissen Sorge oder Vorsorge. Wer sich ängstlich einer denkbaren Veränderung verschließt, verhält sich demnach genau so lebensfern wie derjenige, der jeden Tag mit den massivsten Veränderungen rechnet, zumal nur mit negativen, und der daran verzweifelt, dass die Welt so unsicher ist, wie zu beobachten. Um auf die Geschichte mit dem Schirm zurück zu kommen: wer trotz Regenvorhersage auf ihn verzichtet, obwohl er einen zur Verfügung hätte, wird ebenso wenig der Situation gerecht wie jemand, der gleich ganz zu Hause bleibt.


2. Die kollapsanfällige Situation

Wie kollapsanfällig die derzeitige Situation unserer Welt oder einzelner Gesellschaften in ihr objektiv gesehen tatsächlich ist, dürfte schwer in Zahlen zu fassen sein. Zu komplex sind die Verhältnisse, zu einzigartig unsere Lage und zu wenig wissen wir sicher über einzelne Faktoren, die unsere Gesellschaften beeinflussen, als dass die Zukunft sicher vorhersagbar wäre. Schon eine kleine Veränderung an einer Voraussetzung kann weltweit massivste Unterschiede hervorrufen. Trotzdem können einige Faktoren benannt werden, an denen sich die Kollapsanfälligkeit oder die Zerbrechlichkeit des Gesamtsystems unserer Gesellschaften zu
Beginn des 21. Jahrhunderts festmachen lässt:


a) das Finanz- und Wirtschaftssystem

Man braucht kein Experte zu sein, um zu verstehen, dass wir es mit einem extrem anfälligen Konstrukt zu tun haben – zudem mit einem, in dem eine kleine Gruppe von Akteuren fähig ist, ganze Banken und Volkswirtschaften an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen.
Zudem sind durch die Globalisierung und das Internet in den letzten Jahren die gegenseitigen Abhängigkeiten deutlich gestiegen, so dass kaum noch ein einzelnes Land seinen Wohlstand ohne viele andere Handelspartner halten könnte, wäre es von heute auf morgen auf sich alleine gestellt, z.B. weil Handelsrouten unpassierbar werden oder die Energie für einen Transport von Gütern über lange Strecken nicht mehr bezahlbar ist.


b) die Klimaveränderungen

Schon heute leiden viele Küstengebiete unter dem steigenden Meeresspiegel. Die Wetterextreme nehmen zu und heute landwirtschaftlich gut nutzbare Gegenden werden schon in wenigen Jahren zur Steppe veröden. Flüsse, die sich aus abtauenden Gletschern speisen,
könnten zu Rinnsalen werden und damit Millionen von Menschen zu Klimaflüchtlingen machen. Schon diese drei Beispiele lassen das Potential an Anfälligkeit erahnen, das im sich verändernden Klima steckt. 


c) die Versorgung mit preiswerter Energie

Gerade in den letzten beiden Jahrhunderten war die Versorgung mit preiswerter Energie aus Kohle, Öl, Gas und Kernkraft die wesentliche Triebkraft für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung vieler Teile der Welt. Durch sie wurden wir mobiler, konnten unsere Lebensmittel- und Warenproduktion in bis dato unbekannte Mengen steigern und so viele Menschen wie nie zuvor ernähren, kleiden, bilden und mit Wohnraum versorgen. Doch schon seit Jahrzehnten, spätestens seit der ersten Energiekrise 1973 ist klar, dass dieser Zustand vorübergehend ist, da die Quellen irgendwann versiegen und nicht unendlich neue erschlossen werden können, zumindest nicht so ökonomisch wie bisher.


d) die politische Stabilität

Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg dürfte, trotz aller Kriege und Revolutionen, zu den politisch stabilsten seit langem zählen. Und doch warnen mahnende Stimmen, es könne sich in Wirklichkeit nicht um eine eigenständige politische, sondern vielmehr um eine zuerst wirtschaftlich bedingte Stabilität handeln. Anders gesagt: Es ist leicht, friedlich zu sein, wenn man entweder damit beschäftigt ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern oder im Gegenteil so wohlhabend ist, dass man die politischen Verhältnisse auf jeden Fall bewahren möchte. Politischer Unruhe geht sehr häufig wirtschaftlicher Abstieg oder allgemeine Ungerechtigkeit voraus – zum Beispiel, wenn sich nur noch sehr wohlhabende Bürger Mobilität, Energie oder gute Nahrung leisten können.  


e) die Bevölkerungsentwicklungen

Hier lassen sich drei Entwicklungen beobachten, die alle ein kritisches Potential, also ein Kollapspotential beinhalten.

Entwicklung 1: Bevölkerungen, die stagnieren und in denen gleichzeitig die Wirtschafts- und Renten-systeme darauf angewiesen sind, dass die Bevölkerung wächst.

Entwicklung 2: Bevölkerungen, die abnehmen bzw. sich in immer kleineren Regionen oder Megacitys mit einem Slumgürtel verdichten. Auch hier leidet über kurz oder lang die Wirtschaft und die Altersversorgung, es sei denn, von staatlicher Seite wird massiv eingegriffen, z.B. durch hohe Besteuerung von Erbschaften, die dann an Stelle von Beitragszahlern ein Rentensystem finanziert.

Und schließlich Entwicklung 3 – die gleichzeitig auch die gefährlichste dieser drei darstellt: Gesellschaften, die über Jahrzehnte stark wachsen und sich etwa innerhalb einer einzigen Generation verdoppeln. Es ist für mich völlig unverständlich, dass der sich daraus ergebenden Gefahr so wenig Aufmerksamkeit gewidmet bzw. ihr gegengesteuert wird. Jeder Tierhalter wäre alarmiert und würde massiv gegensteuern, wenn er sähe, wie sich die Zahl seiner Tiere in einem begrenzten Gehege und bei begrenztem Futtervorrat alle paar Jahre verdoppeln würde.


f) der Zustand des Ökosystems

Während es noch vor wenigen Jahrhunderten völlig unvorstellbar war, dass der Mensch mit seiner Präsenz auf dem Planeten einmal das Ökosystem selbst in Gefahr bringen könnte, sehen wir heute genau das Gegenteil:

Es ist zu befürchten, dass die Menschheit sich buchstäblich selbst die Äste absägt, auf denen sie sitzt, nur um es noch ein paar Jahre warm und gemütlich zu haben. Selbstverständlich wird letztendlich die Erde oder das “Gesamtsystem” zurück zu einem Gleichgewicht finden – aber um welchen Preis für die Menschheit oder die Vielfalt des Lebens? Wenn wir immer mehr Lebensräume zerstören, wird dies zu einer massiven Verarmung der genetischen Ressourcen und damit zu einer stark verminderten Anpassungsfähigkeit und Kreativität des irdischen Lebens führen.

Als Fazit aus diesem kurzen Überblick lässt sich sagen, dass im Grunde wesentliche Faktoren, von denen unsere Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme abhängen, nicht im Lot sind und somit die Kollapsanfälligkeit insgesamt höher ist als je zuvor in der Geschichte, zumindest global gesehen. Und dies, ohne weitere denkbare Faktoren in die Betrachtung ein zu beziehen, die ebenfalls das zerbrechliche Gebilde der menschlichen Weltgesellschaft zum Einsturz bringen könnten. Hier wären zum Beispiel der Ausbruch von Pandemien, Einschläge von Himmelskörpern oder Ausbrüche von Supervulkanen, wie im Laufe der Geschichte mehrfach geschehen, zu nennen – gegen die letzten beiden dürfte trotz Hollywood-Rettungsszenarien kaum ein Kraut gewachsen sein.


3. Was bei einem Kollaps geschehen kann.

Im 20. Jahrhundert sind mehrere Gesellschaften, auch sehr große, wie das “Dritte Reich” der deutschen Nationalsozialisten oder die Sowjetunion mit ihren Satellitenstaaten, kollabiert. Trotzdem haben sich beide wieder recht schnell erholt und stabilisiert – jedoch nicht aus eigener Kraft, sondern weil von außen Hilfe zur Verügung stand. Für beide kollabierten Systeme bot die
demokratisch-marktwirtschaftliche Ordnung zumindest einen Hoffnungsanker, konkret jedoch auch praktische, finanzielle und politische Hilfe. Eine ähnlich starke Kombination aus alternativer Idee und tatsächlicher Macht steht uns heute angesichts eines denkbaren Kollapses nicht zur Verfügung. Die wenigen Beispiele, die als zukunftstaugliche Ausnahmen modellhaft zur Verfügung stehen, taugen nicht um eine dermaßen bevölkerungsreiche Weltgesellschaft aufzufangen oder gar zu begeistern, wie dies für viele unfreie Gesellschaften die Idee einer demokratischen Marktwirtschaft vermochte und noch vermag. Und obwohl einzelne Länder einzelne Probleme teilweise oder ganz gelöst haben, gibt es doch meines Wissens keines, das komplett als Vorbild für alle anderen dienen könnte. Im Gegenteil: die Nachahmung der industriellen Revolution mit ihren ungeheuren Umweltbelastungen und den sozialen Ungerechtigkeiten durch Länder wie China und Indien verschärft die Kollapsanfälligkeit weiter anstatt sie zu reduzieren. Eine große Hoffnung, eine Utopie gar, wie sie zu Beginn der Industrialisierung, während der Versuche, den Kommunismus einzuführen oder auch in der Anfangszeit der demokratischen Marktwirtschaften in Form von “Wirtschaftswundern” erlebten, fehlt heute. Die von Ökologen propagandierte Alternative erscheint vielen reizlos und geht zudem die Frage des Bevölkerungswachstums ebenso wenig an wie die eines gerechten Finanz- und Wirtschaftssystems.


Bei einem Kollaps wird also vor allem Eines geschehen:

viele Menschen werden viel von dem verlieren, was sie gewohnt sind. Und je nach Niveau des individuellen Wohlstandes und der Heftigkeit des Zusammenbruchs wird dies unterschiedlich viel sein. Um einmal das Bild eines mehrstöckigen Gebäudes zu benutzen: bei einem Erdbeben kann sowohl nur das obere Stockwerk einstürzen und der Rest stehen bleiben, es können nur einzelne Teile einbrechen bzw. das Gebäude unbewohnbar machen oder es kann alles zusammenbrechen und nur ein Haufen Schutt über einem Keller übrig bleiben.

Wohl dem, der dann in einer kleinen Hütte außerhalb des Gebäudes zu leben gewohnt ist und der nur sein Wellblechdach wieder festnageln muss, nach dem die Erde gebebt hat. Praktisch bedeutet dies, dass gerade die hochvernetzten, auf Energieversorgung, Warenströme und Transportwege angewiesenen und von gegenseitiger Arbeitsteilung lebenden Gesellschaften schlagartig in die Krise geraten, wenn eine Störung eintritt. Schon der kurzzeitige Ausfall von Internet- und Telefonverbindungen, ein Vulkan, der Asche in die Flugrouten bläst oder der
Stopp der Stromversorgung unterbricht den gewohnten Ablauf. Brechen jedoch die Warenströme und irgendwann auch die öffentliche Ordnung weg, werden sehr viele Menschen mit einer Situation konfrontiert sein, die sie absolut nicht gewohnt sind: sie müssen sich selbst
mit dem Notwendigen versorgen – zunächst mit Wärme (je nach Klimaregion und Jahreszeit), mit Trinkwasser und mit Lebensmitteln, dann mit ihrer eigenen Sicherheit oder der Organisation von neuen regionalen Beziehungen. Natürlich ist in dieser Lage jemand besser dran, der sich seine Wärme selbst erzeugen kann, der Wasser- und Lebensmittelvorräte zu Hause hat und in einer Gegend lebt, wo er nicht jeden Moment damit rechnen muss, dass ein bewaffneter Mob ihn seiner Habe und seines Lebens beraubt. Kurz: der New Yorker Geschäftsmann im kleinen, zentral beheizten Appartement, der sich täglich unterwegs von Fastfood ernährt, übergewichtig ist und nur einen kleinen Kühlschrank hat, ist dann wesentlich schlechter dran wie der gesunde polnische Bauer, der sich seit Jahren gezwungenermaßen von der eigenen kleinen Landwirtschaft ernährt, mit seinen Nachbarn Geräte und Arbeitszeit tauscht, weit draußen lebt und Vorräte und Holz für zwei Winter im Keller hat. Irgendwo zwischen diesen Extremen dürfte jeder von uns seinen Ausgangspunkt haben. Jedenfalls würden nur sehr wenige Menschen gar nichts bemerken, wenn die Welt, wie wir sie heute kennen und schätzen, nicht mehr funktionieren würde. Außer ein paar wenigen Naturvölkern wären alle mehr oder weniger rasch und stark betroffen.


4. Leben nach dem Kollaps. 

In der Hoffnung, dass dieser Fall nie eintritt, gehe ich einmal vom Schlimmsten aller denkbaren Kollaps-Szenarien aus: Wodurch auch immer ausgelöst, brechen dauerhaft das Finanzsystem, das Internet, die Elektrizitätsversorgung, die Wasserversorgung, die Warenströme, die medizinische Versorgung und die öffentliche Ordnung zusammen. Übrig bleibt nur, was auch ohne diese Errungenschaften existiert: Häuser, Straßen, die vorhandenen Vorräte und Gerätschaften, ein Rest an Mobilität – sowie viele Menschen auf teilweise engen Räumen, die sich nur zu einem kleinen Teil von dem ernähren können, was in ihrer direkten Umgebung und Reichweite wächst. Was dann? Schon nach kurzer Zeit und der ersten Schockstarre werden sich, je nach regionaler Bevölkerungsdichte unterschiedlich, Tausende oder Millionen von Menschen auf die Suche machen:

nach Wasser, 
nach Nahrung, 
nach Heizmaterialien, 
nach Werkzeugen, Waffen, Freunden, Verbündeten. 

Ein Schwarzmarkt und Tauschhandel wird einsetzen, es werden sich Gruppen zusammen schließen, um gemeinsam für Sicherheit zu sorgen. Wo große Mengen an Waffen im Umlauf sind, werden diese mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu eingesetzt, die eigenen Forderungen durchzusetzen. Geld wird wertlos sein, vielleicht sogar Gold. Eine Dose Rindfleisch kann wertvoller sein als der schönste Sportwagen, ein kleines Gartenhaus mit Ofen begehrter als eine große Villa ohne funktionierende Zentralheizung und Wasserversorgung. Wer auf bestimmte Medikamente oder Behandlungen angewiesen ist, hat schlechte Karten. Die Zahl der Kranken, Toten, Verzweifelten und Gewaltbereiten wird rasant zunehmen – bis sich ein neues Gleichgewicht einstellt und die Zahl der regional übrig bleibenden Menschen im Verhältnis zu dem steht, was diese aus den vorhandenen Ressourcen erarbeiten können; das wird dann jedoch nicht mehr in Geld gemessen werden, sondern in Nähr- und Heizwerten, in sozialem Zusammenhalt und gemeinsam organisierter Sicherheit.

Ob sich nach einem solchen Kollaps wieder komplexere Gesellschaften mit ähnlich hohen Bevölkerungszahlen und einer eben so hoch entwickelten Technik bilden werden, bleibt offen. Vorstellbar ist jedoch, dass auf Grund der teilweise extremen Arbeitsteilung und Spezialisierung nur noch wenige Menschen ausreichend Kenntnisse in sich vereinen, um auch nur die notwendigsten Dinge herzustellen oder anzubauen. Es ist sogar denkbar, dass wir auf eine Niveau weit vor dem Mittelalter und vielleicht sogar auf das einer steinzeitlichen Jäger- und Sammlerkultur zurückfallen würden, wenn auch mit zunächst zahlreichen nützlichen Hinterlassenschaften der technisierten Zivilisation. 

Meine Vermutung ist, dass sich das Pendel irgendwo zwischen Steinzeit und Mittelalter einspielen würde - regional und lokal stark unterschiedlich. Aber ein Zurück zur Hochkultur des 21. Jahrhunderts scheint mir fast ausgeschlossen – vor allem deshalb, weil uns nicht mehr wie zu Beginn der Industrialisierung große Mengen gut verfügbarer Energieträger und Metalle zur
Verfügung stehen würden, auf die jede technische Zivilisation angewiesen wäre. Andererseits fehlen zum allergrößten Teil die damals noch vorhandenen handwerklichen, physikalischen und landwirtschaftlichen Grundkenntnisse. Sie wären aber die Voraussetzung, um eine neuerliche technische Zivilisation zu errichten.

Die nach einem Kollaps übrig bleibenden und neu geborenen Menschen werden vermutlich zunächst einmal froh sein, überhaupt am Leben zu bleiben, die kalten Nächte und Jahreszeiten zu überstehen und sich gegen aggressive Nachbarn verteidigen zu können. Jemand in einer solchen Lage braucht kein Navigationssystem und wird auch keine Satelliten ins Weltall schießen können, um es zu betreiben. 


5. Vorsorgen für das Leben danach.

Um zum Bild des vorsorglich mitgeführten Schirms vom Beginn zurückzukehren – es taucht bei solchen Gedankenspielen natürlich rasch die Frage auf, ob und wenn ja, wie eine Vorsorge für den Fall der Fälle aussehen könnte. Und hier natürlich möglichst eine, die nicht die Größe und das Gewicht eines großen Sonnenschirms aufweist, sondern eher unauffällig, leicht und trotzdem im Ernstfall tauglich ist. Selbstmord aus Angst vor dem Tod ist sicher keine gute Idee – ebensowenig, sich aus dem normalen Leben zurück zu ziehen, nur weil es früher oder später womöglich aus dem gewohnten und geliebten Rahmen ausbrechen könnte. Ein Schirm, der mich daran hindert, nach Draußen zu gehen, macht keinen Sinn. Nun lassen sich aus dem zuvor beschriebenen, extremen Szenario durchaus Handlungsoptionen ableiten, die es im Fall des Eintritts wahrscheinlicher machen, den ersten Schock zu überleben und dann auch in der Zeit danach wieder zu einem Leben zu finden, das wir als lebenswert betrachten. Einige davon, aber selbstverständlich nicht alle, möchte ich ansprechen – überlasse es jedoch dem Leser selbst, sie für sich ernst zu nehmen, an die eigene Situation anzupassen oder als zu weitgehend auszuschließen. Die Reihenfolge der Vorsorgetipps ist hierbei zufällig entstanden.


a) die eigene Gesundheit

Je gesünder ein Mensch und je weniger abhängig von medizinischen Diensten und Mitteln, die ihm nur von einer hoch komplexen Gesellschaft garantiert werden können, desto besser im Fall eines Kollapses. Auch körperliche Fitness wäre von Vorteil. Und wer ein bestimmtes Medikament unbedingt benötigt, tut vielleicht gut daran, einen Vorrat davon anzulegen um  zumindest eine zeitliche Unterbrechung der Vorsorgung damit ausgleichen zu können. 


b) relevantes Wissen

Im Fall eines Kollapses wird sich das vorhandene Wissen völlig neu sortieren. Manches, was heute noch täglich benötigt wird, ist dann nutzlos und anderes, das nur für wenige Menschen notwendig ist, z.B. über essbare Wildpflanzen Bescheid zu wissen, würde dann schlagartig sehr wertvoll sein. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was ohne die heutige technische
Gesellschaft an Wissen notwendig sein könnte, ist es etwa sinnvoll, sich über die Lebensweise von Menschen früherer Epochen kundig zu machen – angefangen von derjenigen der Steinzeitmenschen bis hin zum späten Mittelalter. Aber auch heute leben manche Gruppen
noch in einer Art und Weise, die durchaus tauglich scheint, auch “danach” noch fortgeführt zu werden, z.B. die Lebensweise der Amish People in Pennsylvania oder die der Buschleute in der Kalahari-Wüste. Eine gute Quelle für später womöglich nützliches Wissen könnten auch Bücher über Gärtnerei, Landbau oder das Handbuch der Pfadfinder sein.


c) Vorräte zur Überbrückung

Viele der heutigen Menschen können sich kaum noch vorstellen, wie lebenswichtig noch vor wenigen Jahrhunderten die Anlage von Vorräten war – sei es nun für den Winter oder für Zeiten mit schlechter Ernte. Unser Vorratslager heute ist häufig der Supermarkt, doch ist klar, dass die dort gelagerten Lebensmittel nur sehr kurze Zeit ausreichen, die umliegende Bevölkerung zu
versorgen. Häufig lagern zwar staatliche Stellen Grundnahrungsmittel ein, doch dürfte deren Verteilung in einem solchen Krisenfall, wie hier geschildert, nicht automatisch optimal funktionieren, als dass man sich allein darauf verlassen könnte. Anstatt beliebige Lebensmittel einzulagern wäre mein Tipp, lieber diejenigen zu bevorzugen, die sowieso verwendet werden. So kann einfach eine Art Puffer aufgebaut werden, der auch in Notzeiten verfügbar ist, ohne
ihn separat zu pflegen. Hierbei ist natürlich auf die Haltbarkeitsdaten zu achten. Angenommen, ich verbrauche vom Lebensmittel X ungefähr 50 Packungen pro Jahr und die Haltbarkeit ist genau ein Jahr, spricht – außer vielleicht Geldmangel oder Platzgründe – nichts dagegen, sich mit der Zeit einen Vorrat von 50 Packungen anzulegen. Besonders Trinkwasser, das heutzutage vielen Menschen wie selbstverständlich verfügbar scheint, sollte bevorratet werden. Schon eine kleinere Störung im Warenverkehr und ein sehr heißer Sommer können hier zu Versorgungsengpässen führen und dann ist man sicher froh, ausreichend Getränke verfügbar zu haben.

Wer seinen Notfallvorrat weiter ausdehnen möchte, kann sich ganz einfach Getreidekörner einlagern und aus diesen im Notfall mit einer Handmühle Flocken oder Mehl herstellen. Trocken und in einem fest verschlossenen Gefäß gelagert halten Getreidekörner viele Jahre lang – und sie könnten im Bedarfsfall sogar wieder ausgesät werden. Ein kleiner Vorrat an anderen Samen, z.B. von Gemüse, scheint mir ebenfalls gut angelegtes Geld zu sein, vor allem, wenn man selbst einen Garten hat und die Samen regelmäßig verwendet und erneuert werden können. Eine weitere sinnvolle Vorratshaltung empfiehlt sich für Brennstoffe, wobei natürlich auch die Möglichkeit vorhanden sein sollte, damit wenigstens einen Raum zu beheizen. Wer diese Möglichkeit, z.B. in der Großstadt, nicht hat, kann sich unter Umständen auf dem Land oder in einer Gartenlaube ein kleines Häuschen mit Ofen und Platz für Holz und Kohlen zulegen, um im
Notfall dorthin ausweichen zu können. Für kürzere Heizperioden genügt auch ein mit Petroleum betriebener, abgasfreier Zimmerofen und sogar mit einigen Kerzen lässt sich durchaus die Temperatur in einem kleinen Raum um etliche Grad erhöhen, wie ich selbst einmal ausprobiert habe. 


d) Möglichkeiten zum Selbstschutz

Im Extremfall ist durchaus damit zu rechnen, dass verzweifelte oder skrupellose Menschen Gewalt anwenden, um in den Besitz von begehrten Gütern zu gelangen. Welche Mittel hier als angemessen empfunden werden, sich dagegen zur Wehr zu setzen, bleibt der Bereitschaft des Einzelnen überlassen, diese auch einzusetzen. Nicht jeder wird selbst in einer solchen Lage mit einer Waffe umgehen können oder wollen, nur um ein paar Vorräte zu verteidigen. Eine stabile
Wohnungstür oder ein Gitter vor den Fenstern könnten durchaus mehr bewirken als eine geladene Waffe in der Hand des Ungeübten, ebenso ein wachsamer Hund oder ein fest zu verschließender Raum im Haus, in den man sich im Notfall flüchten kann. Vorteilhafter dürfte im Ernstfall jedoch sein, sich mit anderen zusammen zu schließen und gemeinsam für Sicherheit zu sorgen. Niemand kann alleine 24 Stunden am Tag nur damit verbringen, nach möglichen Angreifern Ausschau zu halten und sich diesen zu stellen. Aber eine Gemeinschaft von 50-100 Personen, die sich die Aufgaben teilt und bei Bedarf zusammenhält, dürfte zumindest Einzeltäter oder kleinere Banden gut abschrecken bzw. abwehren können. 


e) sich auf das Schlimmste einstellen

Letztlich kann man nicht mehr verlieren als das eigene Leben. Und das verliert man ja irgendwann so oder so - ob nun in einer technisch hoch entwickelten Gesellschaft oder in einer, die sich von den Überbleibseln derselben noch eine zeitlang über Wasser hält, bis sie dann auf
eine Niveau zurückgeht, welches vor dem “Experiment” der Sesshaftigkeit und der darauf folgenden beruflichen Spezialisierung Jahrtausende lang selbstverständlich war. Ob das nun als “das Schlimmste” bezeichnet werden kann, möchte ich bezweifeln. Schaut man sich nämlich jene Menschen an, die wie die Buschleute heute noch in einer ursprünglichen Weise leben, gehören diese vermutlich zu den glücklichsten Menschen der Welt. Und auch das Ökosystem und die von der Ausrottung durch den Menschen bedrohten Tiere könnten sich über das Ende des Experiments durchaus freuen. Sich auf etwas einstellen bedeutet auch, damit besser
umgehen zu können. Eine Dusche und ein Regenschauer sind in gewisser Weise recht ähnlich – nur ist das eine gewählt und willkommen und das andere überrascht uns. 

So gesehen dürfte eine der besten Möglichkeiten der Vorsorge die innere Vorbereitung darauf sein, vieles von dem, was uns heute selbstverständlich und “ewig” erscheint, als vorübergehende Erscheinung zu sehen und im Ernstfall loslassen zu können – sei es nun das Internet, das warme Wasser aus der Leitung, die prall gefüllten Supermärkte oder die Aussicht auf eine bis ans Lebensende fast perfekte medizinische Versorgung. Und auf der anderen Seite der Trennlinie diejenigen Dinge zu sehen und zu schätzen, die ganz sicher erhalten bleiben werden: Freundschaft, Entdeckerfreude, das Lächeln der Kinder, Musik und Lieder, die Sterne bei Nacht oder der Zauber des zurückkehrenden Frühlings nach einem kalten Winter. Auch gute Gespräche und das Gefühl, jemand wichtig zu sein brauchen weder Internet noch Atomkraftwerke oder Mobiltelefone. Und der Ritt auf einem Pferd zu einem Freund kann mehr Lebensqualität beinhalten als in einem leistungsstarken Sportwagen zu einer Arbeit zu fahren, die einen nicht ausfüllt. Und wer noch einen Schritt weiter gehen mag, kann sich auch darauf einstellen, dass das eigene Leben irgendwann zu Ende sein wird. Ich glaube, wer vor der
eigenen Sterblichkeit keine Angst mehr hat, ist schon sehr gut auf jede denkbare Veränderung vorbereitet, die sich noch ereignen kann. 


6. Dem Kollaps vorbeugen?

Natürlich stellt sich bei solchen Analysen auch die Frage, ob man noch etwas tun kann, um den mit zunehmender Komplexität der Situation immer wahrscheinlicher werdenden Kollaps zu verhindern. Die in Kapitel 2 beschriebenen Probleme sind ja wahrlich keine Lapalie und nicht erst seit gestern vorhanden. Wenn man ein Problem erkannt hat und nach Lösungen sucht, ist es sinnvoll, zunächst einmal das Ziel der Lösungsversuche zu definieren – also etwa die Frage zu
klären, was denn anders wäre, wenn das Problem tatsächlich gelöst wäre. So gefragt würde ich vielleicht antworten: wenn die Menschheit wieder auf eine Art leben würde, dass es im gleichen Stil mehrere Jahrzehntausende weiter gehen könnte, ohne dass ein neuer Kollaps droht. Dieser Zustand war nach meinen Kenntnissen zuletzt vor ungefähr zehn- bis zwölftausend Jahren auf der ganzen Welt und für die ganze Menschheit vorhanden, als unsere Vorfahren noch als Jäger,
Sammler und Pflanzer unterwegs waren und nicht in der Mehrheit nach und nach dauerhaft sesshaft wurden.

Und genau jener Zustand, so scheint mir, könnte durch einen Kollaps wieder eintreten, wenn wir ihn nicht willentlich wieder herbeiführen – zumindest nach und nach. Praktisch hieße das, dass die Anzahl der Geburten deutlich unter derjenigen der Sterbefälle bleiben müsste. So könnten nach und nach die überbevölkerten Gebiete entlastet werden und der knapper werdende Ackerboden sowie die versiegenden Ressourcen geschont werden. Gleichzeitig wäre es notwendig, dass jene Gesellschaften, die wesentlich mehr verbrauchen als gleichzeitig an Ressourcen nachwächst, ihren Verbrauch auf oder unter diese Nachhaltigkeitsgrenze senkt. Auch die Verbrennung von fossilen, nicht nachwachsenden Rohstoffen muss schnellstmöglich beendet werden, ebenso der Verzehr von tierischer Nahrung im gewohnten Stil. Alleine mit diesen drei Maßnahmen – Reduzierung der Bevölkerungszahl, Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und Reduzierung des Verzehrs tierischer Nahrung – könnte das Gesamtsystem spürbar entlastet werden. Und wenn parallel noch die politischen Systeme und das Finanz- und Wirtschaftssystem renoviert würden sowie die angerichteten Schäden am Ökosystem der Erde wo immer möglich ausgeglichen – dann sänke die Wahrscheinlichkeit für einen Kollaps drastisch.

Ob wir als Menschheit so viel Verstand, Willen und Kreativität aufbringen, bleibt abzuwarten. Darauf wetten würde ich eher nicht, wenn ich die Entwicklung der letzten zehntausend Jahre seit Beginn des “Experiments” betrachte. Aber man weiß ja nie, welche Veränderungen uns bevorstehen. Bekanntlich soll man mit allem rechnen, auch mit dem Guten. 


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