Gast: Wie kommt es, dass gerade die Menschen nicht in eine Gewerkschaft gehen, die es am nötigsten hätten?
Sabine Donauer: Wir haben es mit einer zunehmenden Individualisierung zu tun. Menschen sind es weniger gewohnt, sich zusammen zu engagieren. Zeitmangel durch ausufernde Arbeitszeiten ist mit Sicherheit auch ein Grund für mangelnde Vergemeinschaftung, mit der sich bessere Bedingungen erreichen ließen.
Ich frage mich, was Frau Donauer gemeint hat, dass viele aus der Generation Y aufgrund prekärer Beschäftigungsverhältnisse nicht in den "Aufstand" gehen?
Wir haben die historisch tiefsten Streikraten der Geschichte, obwohl die Bedingungen immer schlechter werden. Für junge Menschen ist mittlerweile jede zweite Neueinstellung befristet, sie können oft durch ihre Arbeit kein nennenswertes Vermögen mehr ansparen und sind nicht mehr für das Alter abgesichert. Das wären genug Gründe, um sich politisch zu engagieren. Aber die Zahl der politisch interessierten unter den Studierenden ist ebenfalls auf einem Tiefststand: bei 13%!
Das bedeutet doch das mit umsetzung von TTIP und TISA die Beschäftigungsverhältnise wesentlich angespannter werden, sehen Sie das auch so?
Das weisen Studien eindeutig nach. Freihandelsabkommen der Vergangenheit (z.B: Nafta) haben Beschäftigungsverhältnisse verschlechtert.
Während meines Studiums der Neueren Geschichte an der TU Darmstadt habe ich mich unter anderem auch mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in GB des 19. Jhdrts. beschäftigt. Von hier aus gingen ja wesentliche Erkenntnisse und Maßnahmen zur Besserung dieser aus; auch, dass die Arbeit und ihre Anfoderungen an den Arbeiter besser angepasst werden müssen. Kann man sagen, dass sich heutige Entwicklungen, wie zum Beispiel "Home Office" oder "Liquid Work", in dieser "Tradition" der Verbesserung befinden - oder kaschieren sie lediglich die von Ihnen angesprochenen Mehrarbeitszeiten?
Die Maßnahmen, die Arbeitswissenschaftler im 19. Jahrhundert entwickelt haben (Reduzierung der Arbeitszeit, bessere Ernährung der Arbeiter, Schutz vor Lärm und Staub in den Fabriken) dienten dem Schutz des arbeitenden Körpers, damit er nicht 'verschlissen' wird. Maßnahmen wie das Home Office entstehen nicht primär, um Arbeitnehmer vor überbordenden Überlastungen zu schützen. Sie haben für Firmen den Vorteil, dass sie weniger Geld für Arbeitsräume ausgeben müssen und führen oft auch dazu, dass Arbeitnehmer sich am Feierabend nochmal an die Emails setzen.
In der Sendung hatten Sie bezüglich der Streikfrage die Resignation der Arbeitnehmer in prekären Arbeitsverhältnissen genannt - sind Sie dieser zufällig weiter nachgegangen? Woher kommt diese Resignation? Ähnliches Verhalten kann man ja auch bei der Wahlbeteiligung der Generation beobachten.
Das Gefühl, dass man nichts erreichen kann, entsteht oft durch Vereinzelung. Unternehmen haben über die vergangenen 100 Jahr sehr stark versucht, die damals vorhandene Solidarität der Arbeiterklasse aufzubrechen und 'an den Einzelmenschen heranzukommen' (so eine Formulierung der Arbeitgeberverbände). Wir sind heutzutage sehr darauf gepolt, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Ich denke, davon müssen wir wieder Abstand nehmen. Wenn jeder für sich ist, lässt sich tatsächlich weniger erreichen.
Sie führten die Produktivitätssteigerung seit den 70igern auf die Arbeiter selbst zurück. Inwiefern spielen dabei auch Arbeitsmittel wie Maschinen, Computer, Software etc eine Rolle?
Nicht alle Produktivitätssteigerung gehen auf Arbeitnehmer zurück. Jedoch hat sich die Produktivität pro Arbeitnehmer pro Arbeitsstunde seit den 1970er Jahren verdoppelt.
Sie haben erwähnt, dass sich junge Menschen heutzutage eher anhand der Frage nach dem Sinn zukunftstechnisch orientieren, haben sie dazu bestimmte Berufsfelder als Beispiel? Was kann man dagegen tun? Was raten sie dieser Generation?
Ich würde dieser Generation raten, stärker über ihre eigenen Interessen nachzudenken statt sich besinnungslos den Anforderungen zu fügen. Ein Faktor blieb bislang unterwähnt: Wenn alle Länder so wirtschaften würden wie Deutschland bräuchten wir 2,5 Planeten. Die zu erwartende Klimaerwärmung beträgt derzeit 4 Grad. Die Weltbank rechnet vor, dass das massive Ernteeinbußen bis 2050 bedeutet, Dürren und hunderte Millionen an Klimaflüchtlingen. Das kann keiner wollen. Statt immer leistungsfreudiger und produktiver zu werden, sollten wir dringend weniger arbeiten und uns gut dabei fühlen.
Eine der letzten Fragen in der Sendung war, warum die aktuellen Generation so wenig wiederstand leistet. Ich glaube, dass es auch mit der Erziehung zusammenhängt. Wer nicht zur Y-Generation gehört, ist von Angst geprägt den Job zu verlieren. Könnte das sein?
Erziehung spielt mit Sicherheit eine große Rolle. Die heutige Elterngeneration hat massiv Angst um Statusverluste ihrer Kinder und schickt sie (falls finanziell möglich) auf Privatschulen, finanziert Nachhilfe um den Gymnasialschnitt zu erreichen und tut alles, um das CV-Wettrüsten ihrer Kinder zu befördern. Dadurch lernt die neue Generation, dass 'Employability' das wichtigste ist, dass man alles dafür einsetzen sollte, um möglichst passgenau für den Arbeitsmarkt zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass so kritische und selbstbestimmte junge Menschen heranwachsen, ist dementsprechend gering.
Bedeutende Unterschiede in der Arbeitswelt scheint es es nur noch zwischen sogenannten Generationen zu geben. Taugt die Frage nach dem Besitz von Produktionsmitteln nicht mehr?
Das ist eine entscheidende Frage. Die Nettolohnquote sinkt seit den 1960er Jahren. Damals lag sie bei 56%, heute bei knapp 40%. Das heißt, dass die Mehrheit der Einkommen in Deutschland heutzutage nicht mehr durch Lohnarbeit verdient wird, sondern durch Kapitaleinkünfte. Durch Arbeit kommt man immer weniger zu Vermögen. Und dennoch sind wir eines der wenigen westlichen Länder, die sich den Luxus leisten, auf eine Vermögenssteuer zu verzichten, um den Faktor Kapital stärker zu besteuern.
Werden die Rahmenbedingungen durch die Digitalisierung nicht noch schlechter?
Das ist sehr wahrscheinlich. Unternehmen möchten in Zukunft die Digitalisierung dergestalt nutzen, dass sie Arbeitnehmer nicht mehr fest anstellen, sondern Arbeitspakete im Internet an den besten Arbeitnehmer-Anbieter vergeben. D.h. man konkurriert mit Internetarbeitern / 'Clickworkern' aus aller Welt um Einkommensmöglichkeiten. Das wird bedeutet, dass nationale Absicherungen (wie Kranken- und Rentenversicherung und auch der 8-Stundentag oder Urlaubsregelungen) verschwinden.
Können Sie mir sagen, wie bzw ob sich die Einstellung der Generation Y zum Arbeitsverhältnis ändert, wenn sie Kinder bekommen? Meine Erfahrung nach wird die Verwirklichung durch Arbeit zurück gestellt und der Lohn wird immer wichtiger. Wie sehen Sie das?
Das ist möglich. Was sich aber nicht ändert, ist die Erwartung der Arbeitgeber: Die erwarten nach wie vor , dass man die Selbstverwirklichung in der Arbeit sucht und den dementsprechenden Einsatz zeigt. Es ist übrigens interessant, dass immer mehr Frauen der Aussage zustimmen "Kinder bekommen ist ein Karrierehindernis". 95% der Frauen wünschen sich Kinder, aber ein Drittel der Akademikerinnen bekommt doch keine. Hier dürfte die Angst um den Verlust guter Beschäftigungsperspektiven auch eine Rolle spielen.
Ich bin bei einem Automobilzulieferer tätig und das schon sehr lange. In den ganzen Jahren ist der körperliche und psychische Druck immer Größer geworden. Bei meinem Arbeitskollegen und Freundeskreis sehe ich immer mehr Menschen, die einfach an der Grenze ihrer Belastbarkeit sind. Wie lange das ein Mensch aushält, weiß man nicht, aber an den Krankenständen der Krankenkassen sieht man klar, dass es immer schlimmer wird. So kann das aber auch nicht weiter gehen, oder? Die Menschheit hat Maschinen erfunden, um sich die Arbeit leichter zu machen und nicht vor der Rente ins Gras zu beißen. Ich würde gerne mal eine Auszeit nehmen, eventuell 3 Monate unentgeldlich, damit man wieder mal runter kommt und neue Kraft schöpft. Gibt es die Möglichkeit vom Gesetzgeber so etwas in Anspruch zu nehmen?
So kann es auf keinen Fall weitergehen! Der Ökonom Keynes prophezeihte in den 1920er Jahren, dass die Generation seiner Enkel (also wir) nur noch 15 Stunden pro Woche arbeitet, weil die Maschinen den Rest machen. Das wäre technisch absolut möglich. Nur haben wir die erhöhte Effizienz dummerweise in der Vergangenheit nicht in Zeitgewinne übersetzt, sondern in die Produktion von immer mehr Gütern. Wir sollten dahin kommen, dass wir unsere Produktivität in Zeitwohlstand übersetzen und nicht in die Produktion von immer mehr Autos, Elektrogeräten, Kleidung etc.... Weniger arbeiten würde auch bedeuten, dass wir weniger konsumieren können, aber ich denke viele Menschen würden heutzutage den Stress gerne reduzieren, auch wenn das dann heißt, dass man nicht jedes halbe Jahr Geld für ein neues Smartphone hat.
Geht es bei der sogenannten „Generation-Y“ nicht eher um eine Frage der Herkunft als um das Jahr der Geburt. Es scheint in der Generation-Y keine richtigen Verlierer zu geben. Oder wohin verschwinden die?
Oft wird die Generation Y definiert als jene Menschen, die nach dem Jahr 1980 geboren sind. Sie sind auf jeden Fall mit Wohlstandsverlusten konfrontiert: Ihr Rentenniveau wird nur noch bei 43% liegen, die Gehälter sind so niedrig, dass man die Rentenlücke nicht auffüllen kann, im Gegensatz zur vorherigen Generation sind Betriebsrenten oder Mitarbeiteraktien die absolute Ausnahme.
Können Sie Literatur oder best. Autoren empfehlen, welche sich mit der privilegierten "Work Hard. Play Hard - Sechsstelliges Einstiegsgehalt" -Schicht befasst?
Work Hard - Play Hard ist u.a. der Titel einer Filmdokumentation von Carmen Losmann über die heutige Arbeitswelt, sehr empfehlenswert. Sechsstellige Einstiegsgehälter bekommen ja vor allem Unternehmensberater und Juristen in Großkanzleien. Um die geht es unter anderem auch in meinem Buch, welches am 31. Oktober erscheint.
Quelle
Sunday, 4 October 2015
Arbeit im Wandel
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