Thursday, 6 August 2015

Abschaffung der Sanktionspraxis beschleunigen





Petition richtet sich an Bundesministerium für Arbeit und Soziales - Frau Andrea Nahles

Setzen Sie sich für die Abschaffung der derzeitigen Sanktionspraxis in den Jobcentern ein und fordern Sie ein schnelles Handeln beim BVerfG in Karlsruhe.

Achim Gerald, Deutschland


Diese Petition, auch wenn sie weder beim Gesetzgeber noch bei den Zuständigen irgendwas erreichen wird, und viel lieber ignoriert wird, soll sie das derzeitige „Sanktionshungern“ von Ralph Boes zumindest mental unterstützen.

Man muss nicht selbst mit dem Berliner Aktivisten Ralph Boes und seinem Agieren einverstanden sein, um hier Solidarität zu zeigen. Allerdings, und dieses sei zu bedenken, möchte Boes mit seinem „Sanktionshungern“ und dieses eventuell bis zum Tod, die Menschen darauf aufmerksam machen, dass die derzeitige Sanktionspraxis und das damit verbundene Handeln der Jobcenter, Betroffene ihr „unverfügbares“ Grundrecht nur durch regelgerechtes Verhalten verdienen können. Dieses betrifft alle „Hartz-IV-Empfänger“ und zukünftige Erwerbslose. Es liegt oftmals an der persönlichen Entscheidung der Mitarbeiter in den Jobcentern – auch wenn das Sozialgesetzbuch II ein restriktives Entziehen des Arbeitslosengeldes II vorsieht. Das entbindet unsere derzeitige Regierung nicht von ihren Pflichten als Sozialrechtsstaat die Abschaffung der Sanktionen oder zumindest die Aussetzung bis eine Stellungnahme oder Urteil durch das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe vorliegt, zu fordern.

An das

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Frau Andrea Nahles

Wilhelmstraße 49

10117 Berlin (Mitte)



Gefordert wird:

Setzen Sie sich für die Abschaffung der derzeitigen Sanktionspraxis in den Jobcentern ein und fordern Sie ein schnelles Handeln beim BVerfG in Karlsruhe zu einer Entscheidung nach dem Beschluss durch das Sozialgericht Gotha, ob die Sanktionen nach §§ 31, 31a, 31b SGB II auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz verfassungsgemäß sind.

Begründung:

Das Ministerium für Arbeit und Soziales stellte im März 2014, nach der Eingabe im Petitionsausschuss zur „Abschaffung der Sanktionen nach SGB II und XII“, u.a. fest, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 nicht auf die Sanktionsvorschriften eingegangen ist. Weiterhin stellt es fest, dass das Bundesverfassungsgericht diese Verantwortung an den Gesetzgeber zurück gespielt hat, ob dieser den Bedarf über Geld-, Sach- oder Dienstleistungen decken will (juris Rn. 138). Weiterhin bemerken sie, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil nicht unmittelbar auf die Sanktionsvorschriften eingegangen ist.

Eine Nichtaussage zu den Sanktionen aus dem Urteil des BVerfG von 2010 bedeutet nicht automatisch, dass Sanktionen verfassungsgemäß sind. Auch was nicht geboten ist, ist nicht verboten.

Ein Eingehen auf das Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahr 2012 wird, vermutlich aus strategischen Gründen, ganz gelassen. Sagt dieses doch aus, dass das Existenzminimum den unbedingt notwendigen Bedarf eines Menschen zum physischen Überleben sowie zur Teilhabe am gesellschaftlichem, kulturellem und politischem Leben umfasst. Das BVerfG leitet den Leistungsanspruch, der in einem Sozialstaat jedermann zusteht, unmittelbar aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes her:

„Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (...). Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes begründet diesen Anspruch als Menschenrecht.“ (BVerfG, 1 BvL 10/10 v. 18.07.2012 AsylbLG, Leitsatz 2)"

Auch heißt es:

"Es verlangt nach Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss. (BVerfG, 1 BvL 10/10 vom 18.07.2012 AsylbLG, Abs- Nr. 120)."

Zwar sagt das BVerfG auch:

“Die Verfassung gebietet nicht die Gewährung von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen.”

Und hier beginnt die Gefahr, dass ein einzelner Satz aus dem Zusammenhang gerissen und gerne vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales oder der Bundesagentur für Arbeit zitiert wird. Der Fehler des Ministeriums oder der Bundesagentur für Arbeit liegt aber nicht in der Verallgemeinerung, sondern in einer Fehlinterpretation:

Wenn es in besagter Begründung heißt: „Voraussetzungslos“, interpretiert die Bundesagentur für Arbeit hier fälschlicherweise “Voraussetzungen” als “Wohlverhalten”. Die “Voraussetzung” wäre also im Wunschdenken der Bundesagentur für Arbeit, die Unterwerfung des nach Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten unter die vom Jobcenter auferlegten Verhaltensrichtlinien. Der zitierte Satz würde somit die Sanktion als Instrument zur Erziehung und Verhaltenskontrolle rechtfertigen.

Im Kontext wird ersichtlich, dass die Richter damit zum Ausdruck bringen, das Leistungen abhängig von der finanziellen Situation des Antragstellers sein müssen. Mit “Voraussetzungen” sind hier die finanzielle Bedürftigkeit und sonstigen Leistungsbezüge des Antragstellers gemeint. Bereits im nächsten Satz stellen die Richter diesen Zusammenhang klar heraus:

"Zusätzliche Leistungsbezüge wie Bafög oder Kindergeld, sind also prinzipiell anrechenbar (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u. a. –, NJW 2010, S. 505 bis 507, Rn. 134)"

Das ist die allgemeine Aussage, auf die sich der oben zitierte Satz (“… bedarfsunabhängig, voraussetzungslosen …”) bezieht. Wer hier in “Voraussetzungen”, etwas anderes hineindeutet, unterliegt einer Fehlinterpretation.

Zum einen gelten Menschenrechte für alle ohne Vorbehalt. Sie können nicht an Bedingungen, wie regelkonformes Verhalten, geknüpft werden. Das Prinzip des „Förderns und Forderns“ ist ein Rückfall hinter die Errungenschaft allgemeiner Menschenrechte. Zum anderen darf eine Unterscheidung bei der Leistungsgewährung ausschließlich, wie bereits oben beschrieben, bedarfsabhängig erfolgen. Dies ist bei Sanktionen der Jobcenter aber gerade nicht der Fall. Sie werden bedarfsunabhängig erlassen, aufgrund einer einzigen Pflichtverletzung der Bezieher nach Arbeitslosengeld II. Vergessen wird dabei jedoch, dass der eigentliche Bedarf trotzdem besteht und zwar unverändert. Um diesen Bedarf zu halten, muss sich der Betroffene diese Leistung sozusagen regelrecht „verdienen“. Er muss sich dem Erziehungsgedanken der Bundesagentur für Arbeit, als Exekutive die Jobcenter, beugen. Somit orientiert sich die Höhe der Leistungen nach dem Arbeitslosengeld II an ein bestimmtes Verhalten. Das unverfügbare Existenzminimum verringert sich mit einer Sanktion und reduziert sich bei mehreren Sanktionen bis auf Null - und dient damit einzig allein der Bestrafung. Es wird ein Ermessen ausgeübt, welches die Menschenrechte Betroffener untergräbt oder zumindest beschneidet.

Aus der Individualität und unter der Berücksichtigung des Sozialgesetzbuches II , dass die Grundsicherung vorgibt ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht, führt die derzeitige Sanktionspraxis in ein Geflecht von Existenznot, Ängsten und nach einer Kann-Bestimmung in Lebensmittelgutscheine. Beschränkt der derzeitige niedrige Regelsatz die soziokulturelle Teilhabe, wird diese durch Geldkürzungen radikal eingegrenzt. Dazu reicht bereits eine Kürzung in Höhe von zehn Prozent. Arbeitslosengeld II-Leistungsberechtigte fühlen sich oftmals in ihrer Existenznot bedroht, was zu Überreaktionen, in Form einer Implosion oder wie die Vergangenheit aufzeigte, in Form einer Explosion. Beides ist nicht zu akzeptieren. Neben der starken Einschränkung zur soziokulturellen gesellschaftlichen Teilhabe, können psychosoziale, physische, psychische und psychosomatische Auswirkungen entstehen. Diese bleiben i.d.R. nicht bei einer Person haften, sondern übertragen sich, gerade innerhalb einer Familie, auch auf deren Mitglieder. Die Leidtragenden sind in dem Moment oftmals die Kinder, weil diese ebenso unter den Kürzungen zu leiden haben. Das fehlende Geld wird von ihnen sozusagen aufgefangen und deren Existenzsicherung ist damit ebenso in Gefahr. Gelten die Arbeitslosengeld II-Leistungsberechtigen als die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft, sind es die Kinder erst recht.

Der Erhalt der Sanktionen ist gleichzusetzen mit dem Erhalt eines vordergründigen negativen Menschenbildes. Auch wenn die Sanktionen abgeschwächt werden, was durchaus gerade auch mit den zusätzlichen bisherigen Erschwernissen für junge Erwachsene zu begrüßen ist, wirken diese weiter als Druckmittel und Damoklesschwert. Nicht nur gegen Betroffene, sondern auch als Bedrohung für Nichtbetroffene. Wenn wir eine positive Gesellschaft weiter entwickeln wollen, müssen wir ein positives Menschenbild beflügeln. Und dazu gehört nicht die Bestrafung von erwachsenen Menschen. Die Mehrheit irrt, wenn sie der Meinung ist, dass Bestrafungen eine Kooperation fördert. Und sie irrt, wenn sie meint, Betroffene damit gefügig zu machen.

Setzen Sie sich für die Abschaffung der derzeitigen Sanktionspraxis in den Jobcentern ein und fordern Sie ein schnelles Handeln beim BVerfG in Karlsruhe zu einer Entscheidung nach dem Beschluss durch das Sozialgericht Gotha, ob die Sanktionen nach §§ 31, 31a, 31b SGB II auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz verfassungsgemäß sind.


Quelle

No comments :

Post a Comment